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Die in drei Blau-Tönen gestaltete Stahlblech-Fassade passt sich gut in die natürliche Umgebung ein. Wenn allerdings Schnee liegt, sticht der neue Sprungrichterturm auffällig heraus. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
Der Turm für Sprungrichter und Trainer ist ein leuchtendes Beispiel wie auch außergewöhnliche Gebäudegeometrien mit Holz gelingen. (Foto: Ralf Dieter Bischoff)
Visualisierung des Turmes mit den fünf höhenversetzten Sprungrichter-Kabinen neben dem auskragenden Erker – zwei der statischen Herausforderungen des Gebäudes. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
Besondere Form mit einem außergewöhnlichen Innenleben

Sprungrichterturm auf der Höhe der Zeit

Oberhof ist ein bekannter Wintersport- und Wettkampfort in Thüringen und besonders bekannt für seine Skisprungwettbewerbe, die auf zwei Schanzen in einem Tal westlich von Oberhof, dem Kanzlersgrund, stattfinden. Der neue Trainer- und Sprungrichterturm, der im Zuge der Sanierung dieser Schanzenanlage notwendig wurde, ist eigentlich ein überschaubares Gebäude. Seine besondere Form, vor allem aber sein außergewöhnliches Innenleben mit fünf höhenversetzten Kabinen und einem weit auskragenden Erker, stellte die Planer allerdings vor nicht alltägliche Herausforderungen.

Die Schanzenanlage im Kanzlersgrund vereint die Hans-Renner-Schanze, die größere der beiden, und die sogenannte Normalschanze, die auch Rennsteigschanze heißt. Erstere war die größte Sprungschanze der DDR und ist eine der größten Sprungschanzen der Welt. Im Auftrag des Zweckverbands Thüringer Wintersportzentrum, der dafür zuständig ist, dass alles auf dem Wettkampfareal in Schuss ist und funktioniert, entwarfen Renn Architekten aus dem bayerischen Fischen den neuen Trainer- und Sprungrichterturm und setzten dabei von vornherein auf den nachwachsenden Rohstoff Holz. Nicht nur, weil in die Natur am besten ein Holzbau passt, sondern auch weil er im Thüringer Wald und damit lokal in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. So wurden auch die Ingenieure von SGHG direkt mit der Tragwerks- und Ausführungsplanung eines Holzbaus beauftragt.

Die Böden für die Kampfrichter-Kabinen wurden höhenversetzt zwischen Außen- und Treppenhauswand eingehängt und mit ihnen verschraubt. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
Eine Trennwand unterteilt die Breite der Bodenelemente in die Kabinenbereiche und den Zugangsbereich davor. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)

Holz-Dreigeschosser über Stahlbetonwanne

Das Gebäude ist als dreigeschossiger, reiner Massivholzbau aus Brettsperrholz (BSP) auf einem Stahlbeton-Sockelgeschoss errichtet worden. Letzteres war bereits fertiggestellt, noch bevor der Holzbau beauftragt wurde. Dieses Untergeschoss liegt wegen der Hanglage halbseitig im Erdreich und nimmt den Erddruck auf. Nicht nur die auffallende Geometrie des etwa 14,9 m breiten und zwischen 3,8 m und 6,70 m tiefen Gebäudes mit ellipsenähnlichem Grundriss und damit ausgerundeten Gebäudeschmalseiten forderte die Tragwerksplaner heraus, sondern vor allem die geschossweise verspringenden, lastabtragenden Wände oder aber der „Erker“ im zweiten Obergeschoss, der bis zu 3 m auskragt. Hinzu kamen fünf Zwischenebenen für die fünf telefonzellen-große Kabinen in gestaffelter Höhe für die Kampfrichter, die die Skisprünge auf ihrer jeweiligen Höhe bewerten. Die dafür erforderlichen höhenversetzten Wände und Deckenstreifen boten ebenfalls knifflige Aufgabenstellungen, die es statisch zu lösen galt. Talseitig ist das Gebäude immerhin 15,50 m hoch.
Aufgrund der komplexen Struktur dieser vielen Ebenen und zur Minimierung von Fehlern bei der Konstruktion und Detailplanung wurde das Gebäude vollständig als 3D-Computer-Modell erstellt, und zwar so, dass es auch BIM-fähig war (BIM – Building Information Modeling), um den Datenaustausch mit den weiteren Gewerken, insbesondere dem Abbundzentrum sicherzustellen. Die statische Berechnung des Gebäudes dagegen erfolgte „klassisch“ mit überwiegend einachsig angelegten Tragsystemen und nicht als räumliches Tragwerk aus sich überlagernden, gegenseitig beeinflussenden Tragwirkungen.

Versetzte Wände: Lastumleitung statt direkter Lastableitung

Durch die vielen nicht übereinander stehenden tragenden Wände war ein direkter Lastabtrag von oben nach unten nicht möglich; er musste über Umwege erfolgen. Der grundsätzliche Lösungsansatz bestand darin, die 16 cm dicken Decken dort, wo Auflager fehlten, durch Verschraubungen an die darüber stehenden Wände an- bzw. hochzuhängen. So war es möglich, Lasten über diese als wandartige Träger ausgebildeten Wandscheiben über das Geschoss darüber umzuleiten und sie dann an Stellen, wo Wände oder Stützen zur Verfügung stehen, nach unten zu führen.

Die bei der Bemessung der Bauteile zu berücksichtigenden ständigen Lasten fielen geringer aus als bei Wohngebäuden, da beispielsweise keine schweren Fußbodenaufbauten vorzusehen waren. Als größte Verkehrslast war „Schnee“ mit 4,54 kN/m² anzusetzen (Schneelastzone 3, ca. 850 m ü. NN, maximale Schneelast mit Schneeanhäufung im Bereich des Dachausstiegs).


Die BSP-Deckenelemente spannen jeweils über die kürzesten Wandabstände und wechseln zum Teil auch die Spannrichtung innerhalb einer Geschossdecke. Bei der Produktion der Deckenelemente galt es unbedingt darauf zu achten, dass die drei der fünf in Spannrichtung verklebten Holzlagen beim Abbund auch richtig ausgerichtet waren. Die 10 cm bzw. 12 cm dicken Wandelemente hätten in Hinblick auf die rein vertikale Lastabtragung teilweise schlanker bemessen werden können. Wegen der Stabilität bei der Montage hätte man sie aber nicht schlanker ausführen dürfen, ganz abgesehen vom Brandschutz.

 

Wände und Decken wurden nach dem Stapelprinzip „Wand-Decke-Wand“ gefügt. So stehen die Wandelemente auf den Deckenscheiben. Die zwei Wandscheiben, die das innenliegende Treppenhaus bilden, ragen vom EG bis zum DG (im Foto ist nur eine dieser beiden Wandscheiben zu sehen). Anders als im Rest des Gebäudes mussten die Außenwände im Bereich der Kabinen wegen der höhenversetzten Ebenen über zwei Geschosse hoch sein. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
Den Erker formen eine Kragwandscheibe (rechts im Bild) und der unterseitig an sie hochgeschraubte Boden bzw. die aufgelagerte Dachdecke. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
Der Erker beherbergt den Juryraum, in dem die Ergebnisse der Skispringwettkämpfe ausgewertet werden. Dank der sichtbar belassenen Holzoberfläche ist ein Raum mit warmer Ausstrahlung entstanden. (Foto: Ralf Dieter Bischoff)

Massivholzbau für raue Witterungsverhältnisse


Aus Gründen der Dauerhaftigkeit, der relativen Feuchte- und Windunempfindlichkeit an diesem exponierten Standort und der Möglichkeit, auch gerundete Elemente vorzufertigen, haben die Architekten eine hohlraumfreie Holzkonstruktion gewählt. Auf die BSP-Außenwände folgen Wärmedämmung, eine Aluminium-Unterkonstruktion und eine dreifarbige Fassadenbekleidung aus gerundeten Metall-Steckfalzpaneelen. Da es sich beim Sprungrichterturm um ein temporär genutztes Nichtwohngebäude handelt, gibt es lediglich eine Elektroheizung darin.

 

Zuganker verbinden an in den ausgerundeten Gebäudeschmalseiten die Wandelemente des Erdgeschosses mit der Stahlbetondecke über dem Sockelgeschoss (Bildquelle: Zimmerei Uwe Quenzel)
Die an den Längsseiten ausgefrästen Deckenelemente werden über eingelegte FSH-Streifen zu Deckenscheiben verbunden. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
Der Holz-Rohbau steht. Die Fenster können eingebaut und die Fassadenbekleidung samt Wärmedämmung aufgebracht werden. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
Die in drei Blau-Tönen gestaltete Stahlblech-Fassade passt sich gut in die natürliche Umgebung ein. Wenn allerdings Schnee liegt, sticht der neue Sprungrichterturm auffällig heraus. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)
An den Sprungschanzen im Oberhofer Kanzlersgrund präsentiert sich nun der neue „Kampfrichterturm in Blau- und Türkistönen. (Bildquelle: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH)

Vom Staat Thüringen mit dem Sonderpreis Holzbau ausgezeichnet


Der neue Sprungrichterturm erhielt Ende September den „Thüringen Staatspreis für Ingenieurleistung 2019 - Sonderpreis Holzbau“. Die Begründung der Jury lautete: „Dieser Holzbau kann andere dazu ermutigen, diesen umweltfreundlichen Baustoff zu verwenden. Das wäre ein wertvoller Beitrag zum Klimaschutz.“ Der Sonderpreis ist mit der Hoffnung und dem Wunsch verbunden, dass sich der Holzbau in Thüringen weiter verbreiten und verbessern möge.

Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe

 

Projektdaten im Überblick

Bauvorhaben: Trainer- und Sprungrichterturm der Schanzenanlage im Kanzlersgrund, 98559 Oberhof

Bauweise: Holzmassivbauweise

Baujahr: 2018

Baukosten: 1.426.000 Euro

Bauherr: Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum, 98559 Oberhof, www.zv-twz.de

Architekt: Renn Architekten, 87538 Fischen im Allgäu, www.renn-architekten.com

Tragwerksplanung, Genehmigungs- und Ausführungsplanung Holzbau: SGHG Planungs- und Prüfgesellschaft Bautechnik mbH, 07745 Jena, www.sghg-bautechnik.de

 

 

Tragwerksplanung Sockelgeschoss: Planungsgesellschaft Steiner + Palme mbH, 98527 Suhl, www.pgsp.de

Abbundplanung Holzbau und Ausführung: Zimmerei Uwe Quenzel, 99610 Leubingen, www.quenzel-holzbau.de

BSP-Lieferung: Binderholz Burgbernheim GmbH, 91593 Burgbernheim, www.binderholz.com, und Unterrainer Holzbau GmbH, A-9951 Ainet (runde BSP-Wände), www.holzbau-unterrainer.at

Fassade: Fleischer Metallfaszinationen, 98724 Neuhaus am Rennweg, www.metfas.de

Auszeichnungen: Thüringen Staatspreis für Ingenieurleistung 2019 - Sonderpreis Holzbau