Die Ende 2019 eröffnete Wasser-Erlebniswelt Rulantica vor den Toren des Europa-Park in Rust präsentiert sich in Muschelform. Überspannt wird die Indoor-Wasserwelt von einem enormen Dachtragwerk aus fächerförmig angeordneten Doppel-Fachwerkträgern. Was einfach aussieht, hatte es in jeder Hinsicht in sich und erforderte optimales Know-how und Zusammenspiel aller Ingenieursdisziplinen.
Mit der Indoor-Wasserwelt erfolgte eine der umfangreichsten Einzelinvestitionen eines Privatunternehmens in der Region sowie in der fast 240-jährigen Firmengeschichte der Familie Mack. Der Wasserpark thematisiert eine nordische Erlebniswelt, wie es sie in Europa bisher noch nicht gibt. Hier wird eine eigene sagenumwobene Geschichte erzählt, die MackMedia seit vielen Jahren entwickelt hat und die ihr als Basis für die Ausgestaltung der Wasserwelt diente.
Das bauliche Herzstück der Anlage bildet eine muschelförmige Halle mit 20 m Höhe. Das Haupttragwerk des Hallendaches besteht aus knapp 86 m langen Doppel-Fachwerkbindern aus Brettschicht(BS)-Holz, die fächerförmig von einem zentralen Punkt über eine Zwischenabstützung zu den Auflagertürmen spannen. Dazwischen eingefügte Brettsperrholz(BSP)-Elemente schließen die Zwickel und bilden das 12.200 m² große Dachtragwerk. Dabei galt es nicht nur, das enorme Eigengewicht der 85 Tonnen schweren Fachwerkkästen abzutragen, sondern auch die Erdbebenkräfte und die aus der Geometrie resultierenden Zusatzlasten samt riesigen Lüftungskanälen aufzunehmen.
Im Herzstück der fächerförmigen Dachkonstruktion sah die Planung ein Betonplateau vor, in dem zur Luftverteilung ein 4 m x 3 m großer Zuluftkanal sowie ein nicht minder großer Abluftkanal über zwei Ebenen kreisförmig an den massiven Auflagern der Fachwerkbinder vorbeigeführt und angeschlossen werden. Aufgrund der enormen Stützweiten von 50 m und 35,50 m sowie der Dimensionierung der einzelnen Lüftungskanäle war es notwendig, Doppel-Fachwerkbinder bzw. Holzfachwerkkästen auszuführen, und zwar so, dass sie auch die Lasten aus dem „Dachfaltwerk“ vom Betonplateau über die 16 m hohen Rundstützen (d = 1,20 m) auf die 4 x 4 m großen, massiven Fassadentürme abtragen können.
Entsprechend besteht das Holzdach aus fünf 85,50 m langen Holzfachwerkkästen mit einer Höhe von rund 4,80 m und einer Breite von 3,84 m an der breitesten Stelle bzw. 3,44 m unten. Die unterschiedlichen Breiten ergeben sich aus den konisch geformten Druckpfosten mit konsolenartigem Auflager für die quer anschließenden Satteldachbinder. Innerhalb der Fachwerkkästen sind die riesigen Lüftungskanäle integriert, die die enorme Halle mit Frischluft versorgen.
Zwischen den Fachwerkkästen sind im Abstand von rund 7,20 m BS-Holz-Satteldachträger (b = 24 cm, GL 28c) eingehängt – 66 Stück insgesamt. Ihre Spannweite vergrößert sich kontinuierlich von 6 m auf bis zu 30 m. Quer zu den Satteldachträgern spannen – auf BS-Holz-Pfetten gelagert und auf ihnen vernagelt – 6 cm dicke BSP-Platten als Einfeldträger. Zu einer Scheibe verbunden, sorgen sie für die horizontale Aussteifung. Maßgebend für die Horizontalaussteifung war der Lastfall Erdbeben.
Die Fassadentürme nehmen technisch eine wichtige Position ein, da sie dazu dienen, die Abluft anzusaugen und über die Holzfachwerkkästen weiter zur Lüftungszentrale zu transportieren. In den Fachwerkkonstruktionen finden neben der Lüftung auch andere technische Komponenten ihren Platz. So erfolgen hier außerdem in den dafür ausgebildeten Kehlen die Dachentwässerung sowie die Steuerung der RWA-Anlagen und der zu öffnenden Oberlichter. Weiterhin wurde in den Fachwerkkonstruktionen die Hallenbeleuchtung installiert. Zu Wartungszwecken und zur flexiblen, auch nachträglichen Installation von Event-Equipment wurde in jedem der Hauptträger ein Wartungsgang vorgesehen, der über das Betonplateau betreten werden kann. Und zu guter Letzt dienen die Fassadentürme als Gestaltungselemente: Sie gliedern die verglaste Hauptfassade in fünf etwa 34 m breite Bereiche. Sie geben der Fassade sowohl von außen als auch von innen eine Struktur.
Die Bauzeit betrug rund 26 Monate. Planung und Realisierung des ambitionierten Dachtragwerks im vorgesehenen Terminplan ist vor allem deswegen gelungen, weil sich die Zusammenarbeit der beteiligten Firmen und Ingenieure als sehr konstruktiv erwies und alle Beteiligten immer wieder aufs Neue Engagement und Motivation an den Tag legten. Und so konnte die Indoor-Erlebniswelt in Rust am 28. November 2019 planmäßig seine Pforten öffnen.
Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag*), Karlsruhe
*) In Zusammenarbeit mit:
Christina Seiters und Peter Korthals, Osnabrück
Samuel Blumer, Graz (Österreich)
Wolfgang Müll, Kehl/Weilheim-Bannholz
Bauvorhaben: Indoor-Wasserwelt Rulantica im Europa-Park in Rust, 77977 Rust, www.rulantica.de
Bauweise: Ingenieurholzbau (Dachtragwerk) und Massivbau
Bauzeit: Oktober 2017 bis November 2019
Baukosten: ca. 180 Mio. Euro
Bruttorauminhalt (BRI): 305.000 m3
Nettofläche: 32.600 m2
Bauherr: Europa-Park GmbH & Co Mack KG, 77977 Rust, www.europapark.de
Architektur: pbr Planungsbüro Rohling AG, 49076 Osnabrück, www.pbr.de
Tragwerksplanung: GBI Göppert Bauingenieure, 77933 Lahr/Schwarzwald, www.gbi-statik.de
Ausführungs- und Detailstatik Holzbau: sblumer ZT GmbH, A-8042 Graz, www.sblumer.com
Ausführendes Holzbau-Unternehmen: Holzbau Amann GmbH, 79809 Weilheim-Bannholz, www.holzbau-amann.de
Lüftungskonzept: Planungsgruppe VA, D-30539 Hannover, www.planungsgruppe-va.de