Bingen im baden-württembergischen Landkreis Sigmaringen ist ein beschaulicher Ort mit rund 2.700 Einwohnern. Mit dem neuen Rathaus in Holzbauweise zeigt sich, dass auch kleine Gemeinden mutig mit Vorbild-Projekten vorangehen können. Eine besondere Rolle spielten dabei die gebäudehohen Stützen aus Buchen-Furnierschichtholz des als Holzskelettbau konzipierten Tragwerks.
Wie auch anderswo im ländlichen Raum, war in Bingen die Umbruchstimmung mit Wegzug und Leerstand deutlich spürbar geworden. Darauf reagierte die Gemeinde mit dem Schritt hin zu einer neuen Ortsmitte. Dabei ging es sowohl um die Bebauung einer ehemaligen Brauereifläche mit attraktivem, bezahlbarem Wohnraum, als auch um den nachhaltigen Rathausbau mit hohem Identifikationspotential. Durch eine Mehrfachbeauftragung von Architektur- und Stadtplanungsbüros 2016 gelang es, ein einfaches, aber nachhaltiges städtebauliches Konzept zu finden. Wesentlicher städtebaulicher Baustein ist dabei das neue Rathaus, das als moderner Holzbau zugleich als Vorbild für weitere Baumaßnahmen dienen soll.
Insgesamt spiegelt das Gebäude Transparenz, Offenheit und Freundlichkeit wider. Gerade im Inneren des Verwaltungsbaus legten die Architekten Wert auf eine warme, freundliche Atmosphäre. Und so ist die Haupttragstruktur aus Buchen-Furnierschichtholz, kurz BauBuche, im Innenbereich ablesbar und schlägt eine Brücke zum dörflichen Charakter historischer Fachwerkhäuser. Die Wahl des Baustoffes erfolgte unter anderem vor dem Hintergrund des Waldumbaus hin zu klimaresilienten Wäldern, der zukünftig mehr Laubholz vorsieht. Entsprechend steht die „Innovative Laubholznutzung im Bauwesen“ im Fokus der BMEL-Förderung „Nachhaltige Erneuerbare Ressourcen“, was einen zusätzlichen Anreiz für die Wahl von BauBuche darstellte. Für die Architekten ergab sich mit der Entscheidung für das hochfeste Laubholz aber auch die Möglichkeit, die Stützen- und Träger schlanker auszuführen. Denn die höheren Festigkeits- und Steifigkeitswerte erlauben es, die Querschnitte kleiner zu dimensionieren als es mit Nadelholz möglich gewesen wäre.
Der 13 m hohe Baukörper, der stark an die ortstypischen, oberschwäbischen Langhäuser erinnert, steht giebelständig an der Straße über einem rechteckigen Grundriss mit einer Länge von 28,40 m und einer Breite von 10,60 m. Die Holzskelettkonstruktion setzt in Kombination mit den Holzrahmenbauwänden auf einem Kellergeschoss aus Stahlbeton auf, das als weiße Wanne ausgebildet ist. Das Holzskelett besteht aus gebäudehohen, also bis ins Dachgeschoss durchlaufenden, 8,20 m hohen BauBuche-Stützen, die in den langen Außenwänden im Achsabstand von 2,40 m platziert sind, sowie aus BauBuche-Trägern, die als deckengleiche Unterzüge fungieren. Brettsperrholz-Elemente, die von Unterzug zu Unterzug spannen, bilden die unterzugsfreien Geschossdecken aus. Die Sparren aus Konstruktionsvollholz des 45°-geneigten Satteldaches stützen sich auf der Firstpfette und den beiden Fußpfetten, ebenfalls aus BauBuche, ab. Und zu guter Letzt bewegt sich auch der Aufzug des Gebäudes in einer „Holzröhre“, das heißt in einem Schacht aus vorgefertigten Brettsperrholz-Wandelementen. Selbst die Treppenläufe bestehen ungewöhnlicherweise aus Holz, genauer gesagt aus Brettschichtholz; dabei erhielten die Stufen einen Belag aus BauBuche-Paneelen – korrespondierend mit dem sichtbar belassenen Tragwerk.
Der vertikale Lastabtrag erfolgt im Wesentlichen über das Holzskelett. Für die Aussteifung sorgen die als Scheiben ausgeführten Geschossdecken sowie ausgewählte Wände in Holzrahmenbauweise.
Die Gesamtkosten für das Gebäude beliefen sich auf etwa 3,5 Millonen Euro. Verschiedene Zuschüsse von Bund, Land und der EU halfen, das Projekt zu realisieren. Dabei kamen rund 250.000 Euro über das Holz Innovativ Programm aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung – Innovation und Energiewende (EFRE 2014 bis 2020) in Baden-Württemberg dank der Einstufung als „Demonstrationsvorhaben Holzbau“.
Dipl.-Ing (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe
Bauherrschaft: Gemeinde Bingen, www.bingen-hohenzollern.de
Bauzeit: Februar 2022 bis Oktober 2023
Architektur: Schaudt Architekten GmbH, D-78462 Konstanz, www.schaudt-architekten.de
Tragwerksplanung: Baustatik Relling GmbH, D-78244 Singen, www.baustatikrelling.de
Technische Gebäudeausrüstung: e.project, D-72505 Krauchenwies, www.eprojectff.de und Ingenieurbüro Büchele, D-72539 Pfronstetten, www.ib-buechele.de
Brandschutzplanung: Geopro GmbH, D-78333 Stockach, www.geopro.de
Holzbau: Riester Holzbau GmbH, D-88637 Leibertingen, www.riester-holzbau.de
Keller / Rohbau: Karl Stocker Bauunternehmen GmbH, D-88630 Pfullendorf, www.stocker-bau.de
Produktion BauBuche-Bauteile: Pollmeier Massivholz GmbH & Co. KG, D-99831 Creuzburg, www.pollmeier.com