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Das neue Rathaus in der kleinen Gemeinde Bingen ist nicht nur ein innovativer Holzbau, sondern soll zugleich als Vorbild für weitere nachhaltige Baumaßnahmen in Holz dienen. Insgesamt spiegelt der Neubau Transparenz, Offenheit und Freundlichkeit wider. Das liegt vor allem an dem minimalistischen Tragwerk, das großzügige Innenräume ermöglicht, sowie an den relativ großen, teilweise bodentiefen Fensterflächen insbesondere im Erdgeschoss. (Foto: Michael Setz)
Dass es sich um einen Holzbau handelt, lässt bereits die Fassade ahnen: Das Gebäude ist mit einer Holzverschalung aus Weißtanne bekleidet. (Foto: Schaudt Architekten)
Buchen-Furnierschichtholz ermöglichte es den Architekten, Stützen- und Träger sehr schlank auszuführen und das Tragwerk als gestaltendes Element innen sichtbar zu belassen. (Foto: Michael Setz)
Außer die Fassade ist auch der Innenbereich mit Weißtanne bekleidet: Hier wurde zwischen einer sehr feingliedrigen Struktur mit schmaler Lattung an den Decken und einer flächigeren Wirkung mit breiterer Beplankung an den Wänden unterschieden. Wie schmale Lichtschlitze sitzen die Deckenleuchten parallel zur Lattung in der Holzdecke. (Foto: Michael Setz)
Selbst im Treppenhaus tritt das Holzskelett sichtbar in Erscheinung. Die Treppenläufe aus Brettschichtholz erhielten einen Belag aus strapazierfähigen BauBuche-Paneelen und passen optisch damit zum Tragwerk. (Foto: Michael Setz)

Minimalistisches Holzskelett für maximale Raumflexibilität

Bingen im baden-württembergischen Landkreis Sigmaringen ist ein beschaulicher Ort mit rund 2.700 Einwohnern. Mit dem neuen Rathaus in Holzbauweise zeigt sich, dass auch kleine Gemeinden mutig mit Vorbild-Projekten vorangehen können. Eine besondere Rolle spielten dabei die gebäudehohen Stützen aus Buchen-Furnierschichtholz des als Holzskelettbau konzipierten Tragwerks.

Wie auch anderswo im ländlichen Raum, war in Bingen die Umbruchstimmung mit Wegzug und Leerstand deutlich spürbar geworden. Darauf reagierte die Gemeinde mit dem Schritt hin zu einer neuen Ortsmitte. Dabei ging es sowohl um die Bebauung einer ehemaligen Brauereifläche mit attraktivem, bezahlbarem Wohnraum, als auch um den nachhaltigen Rathausbau mit hohem Identifikationspotential. Durch eine Mehrfachbeauftragung von Architektur- und Stadtplanungsbüros 2016 gelang es, ein einfaches, aber nachhaltiges städtebauliches Konzept zu finden. Wesentlicher städtebaulicher Baustein ist dabei das neue Rathaus, das als moderner Holzbau zugleich als Vorbild für weitere Baumaßnahmen dienen soll.

Insgesamt spiegelt das Gebäude Transparenz, Offenheit und Freundlichkeit wider. Gerade im Inneren des Verwaltungsbaus legten die Architekten Wert auf eine warme, freundliche Atmosphäre. Und so ist die Haupttragstruktur aus Buchen-Furnierschichtholz, kurz BauBuche, im Innenbereich ablesbar und schlägt eine Brücke zum dörflichen Charakter historischer Fachwerkhäuser. Die Wahl des Baustoffes erfolgte unter anderem vor dem Hintergrund des Waldumbaus hin zu klimaresilienten Wäldern, der zukünftig mehr Laubholz vorsieht. Entsprechend steht die „Innovative Laubholznutzung im Bauwesen“ im Fokus der BMEL-Förderung „Nachhaltige Erneuerbare Ressourcen“, was einen zusätzlichen Anreiz für die Wahl von BauBuche darstellte. Für die Architekten ergab sich mit der Entscheidung für das hochfeste Laubholz aber auch die Möglichkeit, die Stützen- und Träger schlanker auszuführen. Denn die höheren Festigkeits- und Steifigkeitswerte erlauben es, die Querschnitte kleiner zu dimensionieren als es mit Nadelholz möglich gewesen wäre.

Der 13 m hohe Baukörper, der stark an die ortstypischen, oberschwäbischen Langhäuser erinnert, steht giebelständig an der Straße über einem rechteckigen Grundriss mit einer Länge von 28,40 m und einer Breite von 10,60 m. (Foto: Michael Setz)
Dass es sich um einen Holzbau handelt, lässt bereits die Fassade ahnen: Das Gebäude ist mit einer Holzverschalung aus Weißtanne bekleidet. (Foto: Schaudt Architekten)
Die Montage des Holzbaus startete mit dem Aufstellen der vorgefertigten Holzrahmenbauwände auf der Kellerdecke. (Foto: Riester Holzbau)
Fast parallel dazu errichtete das Holzbauunternehmen die BauBuche-Skelettkonstruktion – zunächst in der Mittelachse, dann die markanten gebäudehoch durchlaufenden BauBuche-Stützen in Ebene der Außenwände. (Foto: Riester Holzbau)
Nach dem Stellen der Wände und Stützen folgte die Montage der BauBuche-Unterzüge im Außenwandbereich. (Foto: Riester Holzbau)
Brettsperrholz-Deckenelemente spannen als Einfeldträger von den Außenwand-Unterzügen zu den Unterzügen in der Mittelachse. Zu schubsteifen Scheiben verbunden steifen sie das Gebäude horizontal aus. (Foto: Baustatik Relling)
Und zu guter Letzt bewegt sich auch der Aufzug des Gebäudes in einer „Holzröhre“, das heißt in einem Schacht aus vorgefertigten Brettsperrholz-Wandelementen. (Foto: Riester Holzbau)
Und zu guter Letzt bewegt sich auch der Aufzug des Gebäudes in einer „Holzröhre“, das heißt in einem Schacht aus vorgefertigten Brettsperrholz-Wandelementen. (Foto: Riester Holzbau)
Im Dachgeschoss haben die Monteure schließlich noch die Mittelwände sowie die Querwände aufgerichtet. (Foto: Riester Holzbau)
Nach Montage der Mittel- und Querwände folgten die Sparren, deren unterseitige Beplankung und später die Eindeckung mit quadratischen, anthrazitgrauen flachen Dachsteinen. Abschließend wurde das Gebäude verschalt. (Foto: Riester Holzbau)

Klar strukturiertes Holztragwerk vom Boden bis zum Dach

Der 13 m hohe Baukörper, der stark an die ortstypischen, oberschwäbischen Langhäuser erinnert, steht giebelständig an der Straße über einem rechteckigen Grundriss mit einer Länge von 28,40 m und einer Breite von 10,60 m. Die Holzskelettkonstruktion setzt in Kombination mit den Holzrahmenbauwänden auf einem Kellergeschoss aus Stahlbeton auf, das als weiße Wanne ausgebildet ist. Das Holzskelett besteht aus gebäudehohen, also bis ins Dachgeschoss durchlaufenden, 8,20 m hohen BauBuche-Stützen, die in den langen Außenwänden im Achsabstand von 2,40 m platziert sind, sowie aus BauBuche-Trägern, die als deckengleiche Unterzüge fungieren. Brettsperrholz-Elemente, die von Unterzug zu Unterzug spannen, bilden die  unterzugsfreien Geschossdecken aus. Die Sparren aus Konstruktionsvollholz des 45°-geneigten Satteldaches stützen sich auf der Firstpfette und den beiden Fußpfetten, ebenfalls aus BauBuche, ab. Und zu guter Letzt bewegt sich auch der Aufzug des Gebäudes in einer „Holzröhre“, das heißt in einem Schacht aus vorgefertigten Brettsperrholz-Wandelementen. Selbst die Treppenläufe bestehen ungewöhnlicherweise aus Holz, genauer gesagt aus Brettschichtholz; dabei erhielten die Stufen einen Belag aus BauBuche-Paneelen – korrespondierend mit dem sichtbar belassenen Tragwerk.

Der vertikale Lastabtrag erfolgt im Wesentlichen über das Holzskelett. Für die Aussteifung sorgen die als Scheiben ausgeführten Geschossdecken sowie ausgewählte Wände in Holzrahmenbauweise.

Zuschüsse ermöglichten den Neubau

Die Gesamtkosten für das Gebäude beliefen sich auf etwa 3,5 Millonen Euro. Verschiedene Zuschüsse von Bund, Land und der EU halfen, das Projekt zu realisieren. Dabei kamen rund 250.000 Euro über das Holz Innovativ Programm aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung – Innovation und Energiewende (EFRE 2014 bis 2020) in Baden-Württemberg dank der Einstufung als „Demonstrationsvorhaben Holzbau“. 

Dipl.-Ing (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe

Bautafel:

Bauherrschaft: Gemeinde Bingen, www.bingen-hohenzollern.de

Bauzeit: Februar 2022 bis Oktober 2023

Architektur: Schaudt Architekten GmbH, D-78462 Konstanz, www.schaudt-architekten.de

Tragwerksplanung: Baustatik Relling GmbH, D-78244 Singen, www.baustatikrelling.de

Technische Gebäudeausrüstung: e.project, D-72505 Krauchenwies, www.eprojectff.de und Ingenieurbüro Büchele, D-72539 Pfronstetten, www.ib-buechele.de

Brandschutzplanung: Geopro GmbH, D-78333 Stockach, www.geopro.de

Holzbau: Riester Holzbau GmbH, D-88637 Leibertingen, www.riester-holzbau.de

Keller / Rohbau: Karl Stocker Bauunternehmen GmbH, D-88630 Pfullendorf, www.stocker-bau.de

Produktion BauBuche-Bauteile: Pollmeier Massivholz GmbH & Co. KG, D-99831 Creuzburg, www.pollmeier.com