Der traditionsreiche Baustoff Holz hat in den letzten Jahrzehnten eine vielbeachtete Renaissance erfahren und kehrt mit wegweisenden Gebäuden mitten ins Herz unserer Städte zurück. Forschung und Entwicklung haben den Ingenieurholzbau so optimiert, dass gerade diese Hightech-Bauweise mit ihren geklebten Vollholzprodukten die Vorteile des nachwachsenden Rohstoffs besonders zum Tragen bringt.
Stefan Behnisch
Architekt, Behnisch Architekten, Stuttgart
Die Holzbau-Produkte, die den Ingenieurholzbau erst möglich machen, erlauben außergewöhnliche technische und gestalterische Lösungen. Zu ihnen zählen Brettschichtholz, Brettsperrholz sowie Fichten- und Buchen-Furnierschichtholz. Vor allem die neuen Möglichkeiten der Holzsortierung, die Entwicklung leistungsfähiger Klebstoffe und Klebtechnologien sowie optimierte Verarbeitungstechniken haben Brettschichtholz und andere verklebte Bauteile aus Holz- und Holzwerkstoffen noch leistungsfähiger gemacht und damit die Möglichkeiten des modernen Ingenieurholzbaus zusätzlich erweitert.
Die Digitalisierung in Planung und Produktion sowie die Weiterentwicklung der Fertigungs- und Verbindungstechniken ermöglichen räumliche Tragwerke und organisch geformte Bauteile aller Art. Aufgrund höherer Steifigkeit und Tragfähigkeit fallen sie schlanker aus als früher und können als vergleichsweise leichte Konstruktionen große Spannweiten überbrücken. Das eröffnet Architekten und Ingenieuren ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten.
Bauteile aus geklebtem, konstruktivem Vollholz lassen sich in nahezu jeder gewünschten Form und Abmessung herstellen. Sie können gerade, gebogen, gekrümmt oder gar doppelt gekrümmt verklebt werden. Spannweiten und Bauwerkshöhen von 100 Metern und mehr sind heute keine Utopien mehr. Begrenzt werden die Abmessungen vor allem durch die Größe der Produktionsanlagen und die maximal erlaubten Transportabmessungen.
Ob gerade und geometrisch oder organisch geschwungen, mit Holz lässt sich fast jede erdenkliche Gebäudeform realisieren. Auch hochkomplexe Netz- und Schalentragwerke löst der moderne Ingenieurbau ohne weiteres. Die große gestalterische Freiheit macht eine visionäre Architektur möglich. Weil die Konstruktionen immer schlanker werden, lassen sich auch anspruchsvolle Formen wirtschaftlich umsetzen.
Die Herstellung bionischer Formen im Holzbau erfolgt häufig mit Hilfe des CNC-Abbunds und der Robotik. Die Präzision und damit die Passgenauigkeit solcher Hightech-Bauteile sind kaum zu übertreffen. Sie ermöglichen eine perfekte Fügung, eine optimale Kraftübertragung und ein makelloses Erscheinungsbild der architektonischen Vision.
Neben Brettschichtholz ist auch Brettsperrholz seit Jahren einer der Werkstoff-Favoriten in der Architektur, vor allem im mehrgeschossigen Wohnbau. Durch die kreuzweise Verklebung einzelner Brettlagen entsteht aus dem gerichteten Werkstoff Holz ein Material mit Platten- oder Scheibenwirkung. Die Massivbauweise mit Brettsperrholz erlaubt die Vorfertigung ganzer Wand-. Decken- und Dachelemente mit bereits ausgefrästen Fenster- und Türöffnungen. Charakteristisch ist, dass die Elemente sowohl eine tragende als auch eine raumbildende Funktion haben.
Man findet heute mehr denn je auch in Ländern, die nicht unbedingt für Holzbau bekannt sind, außergewöhnliche Architekturen in Holz. Nicht selten stammen die Gebäude von renommierten oder auch sehr bekannten Architekten, wie etwa das Pariser Museum der Louis Vuitton Stiftung von Frank Gehry, ein Mischbau aus Holz, Glas und Stahl, das an ein Schiff unter vollen Segeln erinnert, oder der Neubau für die Filmkunst-Stiftung Fondation Jérôme Seydoux Pathé von Renzo Piano, ebenfalls in Paris, und das im April 2017 eröffnete Konzerthaus „La Seine Musicale“ von Shigeru Ban und Jean de Gastines auf der l‘Ile Seguin, einer Insel im Südwesten von Paris. Doch auch das Weinmuseum in Bordeaux in Form einer Dekantierkaraffe ist einzigartig und wirbt seit seiner Eröffnung außer für Wein ganz nebenbei auch für das Bauen mit Holz.