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Der knapp 34 m hohe Glocken- und Aussichtsturm in Bleibach ergänzt als separater Bau die Kirche aus den 1970er Jahren und nimmt die steilen Linien des Bestandsdaches auf. (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)
Der dreiseitige Turmhelm hat nur eine geneigte Dachfläche. Die „harte Bedachung“ mit Abdichtung und Accoya-Verschalung benötigte ein eigens Prüfzeugnis. (Foto: Oliver Kern)
Wände aus Brettsperrholz-Elementen formen den Holzturm. Wandschlitze belichten das Treppenhaus und erlauben rundum Ausblicke beim Aufstieg. Die 1,10 m breiten Treppenläufe schmiegen sich mit Wangen und Podesten in die Dreikant-Röhre. (Foto: Oliver Kern)
Die zurückgezogenen Schiebeläden der Aussichtsplattform in knapp 14,50 m Höhe geben den Blick frei auf die Umgebung bzw. die Gipfel der Schwarzwaldberge und in die umgebenden drei Täler. (Foto: Oliver Kern)
Lebendige Fassadengestaltung mit Accoya-Brettern. Das mit Essigsäureanhydrid chemisch modifizierte Holz (Acetylierung) gilt als besonders widerstandsfähig gegen Witterungseinflüsse sowie holzzerstörende Pilze und Insekten. Die Bretter sind vertikal angeordnet, wobei horizontale Blechleisten die Fassade in „Etagen“ gliedern. Licht- und Luftschlitze rundherum lockern die Flächen auf. Im Bereich der Glockenstube sorgen zudem breite, vertikale Lamellen für eine gelenkte Ausrichtung des Schalls. (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)
Schon von weitem sieht man den Glocken- und Aussichtsturm, das neue Wahrzeichen des kleinen Orts Bleibach im Südschwarzwald. (Foto: Oliver Kern)

Dreikant für Glocken und viel Aussicht

Bleibach im Naturpark Südschwarzwald, rund 20 Kilometer nordöstlich von Freiburg im Breisgau gelegen, ist seit 2019 um einen Glockenturm und einen Aussichtspunkt reicher. Als dreieckiger Turm in Holzbauweise ragt er dort in den Himmel und ergänzt die Pfarrkirche St. Georg daneben als separater Campanile. In ihm finden die alten Glocken eine neue Heimat und Besuchern dient er auf Anfrage als Aussichtsturm. Brettsperrholz-Elemente bilden den Dreikant mit einseitig in die Höhe gezogener Spitze.

Der knapp 34 m hohe Turm in Holzbauweise geht in seiner dreieckigen Form auf den dreiecksförmigen Grundriss der Kirche ein und ergänzt ihn als Spitze. Die steil abfallenden Linien des Turms leiten sich ebenfalls vom Bestand ab und verdeutlichen die Beziehung zwischen den beiden Gebäuden. Die Kirche besteht aus einem gotischen Chor aus dem 16. Jahrhundert und einem in den 1970er Jahren hinzugefügten zeltartigen Gebäudeteil mit roter Aluminiumdeckung. Die vier Glocken, ursprünglich in einem Stahlglockenstuhl über dem gotischen Chorraum untergebracht, verursachten über die Jahre Risse im Kreuzrippengewölbe des Chorgestühls und mussten an einem neuen Ort unterkommen. Den haben sie nun im separat stehenden Holzturm gefunden.

Ein gleichseitiges Dreieck (hier rot) bildet den Grundriss des Holzturms. Er leitet sich von dem ebenfalls dreieckigen Grundriss des benachbarten Kirchenschiffs ab. (Bildquelle: WerkGruppe1)
Grundriss Eingangsebene (Bildquelle: WerkGruppe1)
Montagekonzept: Die Wände des Turmschaftes sind vertikal geteilt und wurden als V-förmige Ecksegmente zusammengebaut. Es folgen die A-förmigen Rahmentragwerke mit Ringgurt und Glockenstubenboden, der Glockenstuhl und zuletzt der Turmhelm. (Bildquelle: Ingenieurbüro Wirth Haker)
Die Wände des Turmschaftes sind in der Mitte vertikal geteilt. Über einbetonierte Stahlprofile sowie eingeschlitzte Bleche und Stabdübel schließen sie an die Fundamentwände an. (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)

Dreikant hält Schwingungen stand

Der neue Glockenturm besteht aus drei Teilen: dem Turmschaft, der Glockenstube und dem Turmhelm. Tragwerksplanerisch gliedert sich der Turm jedoch in zwei Teile: die geschlossene Holzröhre, also den Turmschaft mit Treppenhaus bis zur Aussichtsplattform, und den darüber folgenden, halb aufgelösten, halb geschlossenen Bereich für die Glockenstube und den Turmhelm.  Den Grundriss des Turms bildet ein gleichseitiges Dreieck mit einer Seitenlänge von etwa 6,60 m. Die wie ein Dreikant aufragende Holzröhre mit spitz zulaufendem Dach wurde auf einem 3,30 m hohen Stahlbeton-Ringfundament mit einer 45 cm dicker Bodenplatte errichtet. 

Die Röhre bilden Brettsperrholz(BSP)-Elemente mit 20 cm Wandstärke. In der unteren Turmhälfte befindet sich das Treppenhaus mit zwölf Zwischenpodesten. Dabei folgen auf das rund 3 m hohe Erdgeschoss fünf knapp 2,30 m hohe Abschnitte, in denen sich die Treppe emporwindet. Sie endet in 14,44 m Höhe auf der Aussichtsplattform, die ein Höhensegment von 2,70 m einnimmt. Darüber folgt mit 2 x 2,90 m die Glockenstube mit dem über diese zwei Ebenen reichenden Glockenstuhl. Ihre Lage ist von außen durch die aufgefächerten Lamellen zu erkennen. Die BSP-Elemente des etwa 11 m hohen Turmhelms in Form einer dreiseitigen Pyramide schließen den Dreikant nach oben hin ab.

Da ein Dreieck in sich stabil ist und sich selber aussteift, stellt die Dreiecksform ein effektives Tragwerk für die Turmkonstruktion und den Turmhelm dar. Aufgrund der beim BSP verklebten Längs- und Querlagen weisen die Wandelemente eine entsprechend hohe Steifigkeit und Formstabilität auf. Das ermöglichte nicht nur, die anspruchsvolle Statik des Turmbauwerks zu bewältigen, sondern auch die dynamischen Lasten aus den schwingenden Glocken aufzunehmen.

Blick in den teilmontierten Turmschaft aus zwei Ecksegmenten mit in die Zwickel eingefügten, 16 cm dicken BSP-Podesten als aussteifende Schotte. Letztere fungieren auch als Beulsteifen, das heißt sie wirken einem Beulen der Wandflächen infolge von Windkräften entgegen. (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)
Der Turmschaft ist montiert. Hier sorgen die Wandscheiben für die Lastabtragung und die Aussteifung. Windlasten stellen aufgrund der Höhe des Turmes neben den dynamischen Kräften die maßgebende Bemessungsgröße dar. (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)
Der aufgelöste Teil des oberen Bereichs aus Aussichtsplattform und Glockenstube besteht aus drei im Grundriss V-förmigen BSP-“Stützen“ in den Turmecken mit etwa 1,10 m Schenkellänge (Außenmaß). (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)
1,20 m hohe BSP-Querträger wurden als Rahmenriegel biegesteif an die V-förmigen BSP-“Eckstützen“ angeschlossen (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)
Der Boden des Turmhelmes dient als Deckenscheibe der Aussteifung und damit der Aufnahme von Horizontalkräften. (Foto: Ingenieurbüro Wirth Haker)

Kippen nicht möglich: Eigengewicht überdrückt (fast) die Zugkräfte

Das Eigengewicht des Turms ist relativ hoch, so dass er durch Horizontalkräfte aus Wind oder den dynamischen Lasten aus dem Schwingen der Glocken kaum kippen kann. Das heißt, die Eigenlast überdrückt (nicht ganz, aber fast) die wirkenden Zugkräfte. Die verbleibenden Zuglasten nehmen die ins Fundament einbetonierten Zuganker auf. Im Grunde wirkt der Turm wie ein Kragarm, der ins Fundament eingespannt ist. Das Eigengewicht inklusive Fundamentkörper mit Splittfüllung ermöglichte den Verzicht auf weitere Zugverankerungen im Baugrund.

Accoya als Rundum-Witterungsschutz mit Auflagen in der Dachschräge

Als konstruktiven Holzschutz wählten die Planer für Wand- und Dachflächen eine hinterlüftete Fassadenschalung aus Accoya-Holzbrettern. Während die Fassade des Turms auf zwei Seiten nahtlos in den Turmhelm übergeht und bis zur Spitze senkrecht bleibt, ist die dritte Dachfläche geneigt und erhielt unter der Accoya-Holzschalung eine Abdichtung gegen Bewitterung. Für diesen Aufbau der als „harte Bedachung“ eingestuften Dachfläche, die auch die Behörden und der Brandschutzgutachter gefordert hatten, war ein Brandschutz-Prüfzeugnis erforderlich. Eine gutachterliche Stellungnahme und eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) ermöglichten es, das Dach wie vorgesehen auszuführen.

Ausgezeichnete Form

Im Herbst  2020 erhielt der Glockenturm gleich zweimal den Iconic Award des Rats für Formgebung. Im Juli 2022 wurde er dann zudem mit dem baden-württembergischen Holzbaupreis 2022 ausgezeichnet.

Dipl.-Ing (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe

Bautafel:

Bauherrschaft: Röm.-kath. Kirchengemeinde Mittleres Elz- und Simonswäldertal, Pfarrei St. Georg, D-79261 Gutach-Bleibach im Breisgau

Architektur: WerkGruppe1, D-79261 Gutach-Bleibach im Breisgau, www.werkgruppe1.de

Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Wirth Haker, D-79100 Freiburg im Breisgau, www.ing-wh.de

Prüfstatik: Blaß & Eberhart, D-76227 Karlsruhe, www.ing-bue.de

Ausführung: Holzbau Baumer, D-79263 Simonswald, www.baumer-holzbau.de

Brandschutz: Brandschutzconsult, D-77955 Ettenheim / Münchweier, www.brandschutzconsult.de

Lieferung Weißtannen-Brettsperrholz/Brettschichtholz:
Schilliger Bois SAS, F-68600 Volgelsheim, www.schilliger.fr

Hersteller Accoya: Titan Wood Limited, GB-London WC2E 7EN, www.accoya.com