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Nicht nur die Ausstrahlung des spektakulären Neubaus ist zauberhaft, sondern die gesamte Konstruktion. Sie ist ein fantastisches Beispiel für die Möglichkeiten des Ingenieurholzbaus von heute. (Foto: Knies Kinderzoo)
Das fast 26 m hohe, frei tragende Schalenfaltwerk des Zauberhuts ist eine neue Landmarke in der Silhouette von Rapperswil. Die Dachform haben die Architekten von einem Tuch abgeleitet, das – wie von Zauberhand aufgehoben – das Darunterliegende offenbart. (Foto: Ghisleni Partner AG)

Zaubertuch als Schalenfaltwerk

Die Besucher von Knies Kinderzoo in Rapperswil am Zürichsee (Schweiz) konnten sich bei dessen Wiedereröffnung nach der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2021 über einen spektakulären Neubau freuen, den sogenannten „Zauberhut“. Nicht nur die Ausstrahlung des Mehrzweckgebäudes auf dem Zoo-Gelände des „Circus Knie“ ist zauberhaft, sondern die gesamte Konstruktion. Von der Planung bis zur Montage ist das knapp 26 m hohe Schalentragwerk – eine Freiform aus sich wiederholenden Holzbau-Elementen – ein fantastisches Beispiel für die Möglichkeiten des Ingenieurholzbaus von heute.

Startschuss des Projektes war ein Architektenwettbewerb. Als Sieger daraus hervorgegangen ist das Büro Carlos Martinez Architekten aus Berneck (Schweiz) mit der Idee eines Zaubertuchs, welches – wie von Zauberhand angehoben – das Darunterliegende offenbart. Aus einem quasi in der Luft erstarrten Zaubertuch wurde der Zauberhut. Von der Form her im Prinzip ein Zirkuszelt, allerdings ohne Stützen. Das „Zeltdach“ in Holz auszuführen, war Teil der Entwurfsidee.

Faltwerk aus zwölf gleichen und zwölf gespiegelten Elementen mit Haube

Für den Wettbewerbs-Entwurf des Dachtragwerks – einer frei tragenden Konstruktion in Form eines Faltwerks aus gekrümmten Schalenelementen – hatten die Architekten bereits die Ingenieure der PIRMIN JUNG Schweiz AG eingebunden. Das vereinfachte den anschließenden Planungsprozess. Der begann mit einer umfangreichen 3D-Modellierung der Gebäudegeometrie beim ausführenden Holzbauunternehmen Blumer Lehmann.

Auf der Basis des daraus entwickelten parametrischen 3D-CAD-Modells ließen sich dann die optimale Gebäudehöhe (25,60 m) und der Durchmesser (32 m) ermitteln, außerdem später die exakte Planung und Steuerung des Produktions- und Montageprozesses.

Statisch handelt es sich beim Zauberhut um eine geschwungene, rotationssymmetrische Dachform mit zentralem Hochpunkt. Sein Tragwerk besteht aus 24 zweifach gekrümmten Holzschalen-Elementen: zwölf gleiche und zwölf gespiegelte. Sie bilden paarweise jeweils ein umgekehrt V-förmiges Dachsegment mit Grat- und Kehlbalken. Querbalken zwischen den beiden Gurthölzern bilden – wie Sparren – die „Unterkonstruktion“, auf die jeweils zwei Lagen diagonal verlegter Holzschalung aufgenagelt wurde.

Tragwerksgliederung in drei Höhenabschnitte

Als Auflager und Haltepunkte für die Dachelemente haben die Ingenieure auf 4 m Höhe, also an den Stellen der Kehlentiefpunkte, einen Stahlbeton-Zugring angeordnet. Auf 11,50 m und 18,50 m Höhe folgen zwei Druckringe aus Brettschichtholz. 

Entsprechend stützen sich die Dachsegmente über die Enden der Kehlbalken am Betonring ab. Letzterer spannt das Holztragwerk am Fuße des Daches zusammen und leitet dessen gesamtes Gewicht in die Stahlbetonstützen ein, und von dort in die Bodenplatte und die Fundamentpfähle.

Isometrie: Das Tragwerk ist als Holzfaltwerk konzipiert. Zusammengehalten wird es von einem Stahlbeton-Zugring unten und zwei Holzdruckringen in 11,50 m und 18,50 m Höhe. (Isometrie: Blumer Lehmann AG)
Der Stahlbeton-Unterbau ist fertig. Die ersten Dachelemente werden eingehoben. Sie spannen vom Stahlbeton-Zugring unten zum ersten Brettschichtholz-Druckring auf 11,50 m Höhe, den zunächst ein Montagegerüst stützt. (Foto: Blumer Lehmann AG)
Montage der Dachelemente in Ebene 2. Mit etwa 6 m Länge sind sie vergleichsweise kurz. (Foto: Blumer Lehmann AG)
Aufsetzen der vorgefertigten Haube bzw. Hutspitze. Das fast 20 t schwere Sonderbauteil mit 7 m Durchmesser wurde mit einem Spezialkran eingehoben. (Foto: Beat Brönnimann GmbH)
Ebene 3 bildet der ebenfalls etwa 6 m hohe, vollständig vorgefertigte Hut, der in einem Stück aufgesetzt und montiert werden konnte. (Foto: Blumer Lehmann AG)

Dreidimensionale Modellierung für perfekte Passgenauigkeit

Die Dachelemente wurden auf Schablonen in der Halle des Holzbauunternehmens Blumer-Lehmann in Gossau (Schweiz) vorgefertigt. Zur Herstellung der Dachelemente erarbeiteten die Ingenieure für die Werkstattplanung ein 3D-CAD-Modell der Dachkonstruktion. Dieses lieferte die exakten Abmessungen bzw. Geometrien des Daches samt Verschraubungen, Bohrungen und sonstiger Bearbeitungen für den CNC-Abbund, aber auch alle anderen Eingangsgrößen für die Fertigung bzw. den Schablonenbau. 

Vorne im Bild: Fertigung eines Dachelements auf einer Schablone. Dahinter ein bereits gewendetes Element mit ausgedämmten Gefachen. (Foto: PIRMIN JUNG Schweiz AG)
Die 24 mm-Diagonalschalung ist händisch in Form gebogen und auf den Querträgern vernagelt worden. (Foto: PIRMIN JUNG Schweiz AG)

Akustik und Brandschutz

Zum Dachaufbau im Zauberhut gehören außerdem 450 einzeln vorgefertigte, gebogene Akustikelemente. Die Lochung der Dreischichtplatten erfolgte nach Vorgaben der Akustikplanung; in die Tests flossen 20 unterschiedliche Veranstaltungsszenarien ein, um einen umfassenden Akustikkomfort zu gewährleisten. Die Akustikschalen nehmen unter anderem Kabel und Leitungen für Licht, Luft und Medien auf. 

Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe

Bautafel:

Bauzeit: Oktober 2019 bis September 2020

Montage Holzbau: 3. bis 19. Juni 2020

Gebäudevolumen (SIA 416):  8.700 m3

Nettogeschossfläche (SIA 416): 1.200 m2

Bauherrschaft: Gebrüder Knie, Schweizer National-Circus AG, CH-8640 Rapperswil, www.knie.ch
 

Generalplanung und Projektentwicklung:
Ghisleni Partner AG, CH-8640 Rapperswil, www.ghisleni.ch

Architektur: Carlos Martinez Architekten AG, CH-9442 Berneck, https://carlosmartinez.ch

Tragwerksplanung, Bauphysik, Brandschutz: Pirmin Jung Schweiz AG, CH-8500 Frauenfeld, www.pirminjung.ch

Vor-, Werkstatt- und Fertigungsplanung Holzbau, 3D-Modellierung, Fertigung und Montage: Blumer Lehmann AG, CH-9200 Gossau, www.lehmann-gruppe.ch