Der neue Aussichtsturm im Naturpark Schönbuch in der Nähe von Herrenberg bei Stuttgart ist ein aufs Wesentliche reduziertes Tragwerk. Sein Grundkonzept lehnt sich an dem des Turms auf dem Killesberg in Stuttgart an: Es besteht aus einer Stahlstütze, an der Plattformen aufgehängt sind. Damit diese Stütze nicht umfällt, ist sie nach außen mit Seilen abgespannt, ebenso die Plattformen. Das heißt, die Plattformen sind zwischen dem mittleren Mast und den Stahlseilen angeordnet. Beim Schönbuchturm ist die Mittelstütze des Vorbilds in acht Stützen aufgefächert. Diese sind oben über einen Zugring kurzgeschlossen – ansonsten handelt es sich um das gleiche System.
Das minimalistische Tragwerk des 35 m hohen Schönbuchturms mit seinen zwei spiralförmigen Treppen besteht aus acht im Kreis angeordneten, nach außen geneigten Lärchen-Brettschichtholz-Masten (b x h: 45 cm x 50 cm), die in Ebene der drei stählernen Aussichtsplattformen gekoppelt und mit Stahlzugseilen zum Fundament hinunter gespannt sind. Zug- und Druckkräfte konnten so optimal im Fundament verteilt werden, dessen spezielle Gestaltung dem bedingt stabilen Untergrund geschuldet ist. Denn der Turm gründet auf dem Stellberg, einer ehemaligen Erd- und Mülldeponie.
Um die Altlasten im Boden nicht durchdringen zu müssen, entschieden sich die Planer für eine Flachgründung. Sie setzt sich zusammen aus einem Sockelfundament, auf dem die Holzmaste stehen, sowie einem Stahlbetonring, der das Sockelfundament umschließt. Letzterer bietet die Verankerungsstellen für die Stahlseile. Sockel- und Ringfundament sind über massive Stahlbetonbalken, die wie ein Kreuz angeordnet sind, miteinander gekoppelt.
Dadurch werden die Zugkräfte aus Stahlseilen und Brettschichtholz-Stützen im Fundament kurzgeschlossen, und die Druckkräfte aus den Stützen wirken nicht direkt auf den Baugrund, sondern werden zum äußeren Ringfundament zurückgehängt. So bleiben die Kräfte aus der Vorspannung sozusagen im System. Diese Konstruktion ermöglichte außerdem ein transparentes und leichtes Tragwerk. Dem Bauherrn war es besonders wichtig, dass man bei der Turmbesteigung jederzeit Ausblick hat und den Blick schweifen lassen kann. Ziel war daher, eine offene Struktur zu schaffen, wofür sich die Seile ideal anboten, nicht zuletzt auch, weil sie sehr hohe Kräfte aufnehmen können.
Auf den Turm führen zwei getrennte Stahltreppen – eine zum Aufsteigen, eine zum Absteigen –, die in Form einer Doppelhelix angeordnet sind. Dabei vergrößert sich der Radius der Helix nach oben, entsprechend den sich aufspreizenden Brettschichtholz-Stützen. Sie sind auf Höhe der Plattformen, also auf 10 m, 20 m und 30 m unterbrochen und in Ebene der Plattformen über spezielle Knotenanschlüsse gekoppelt, deren Mechanismus es bei Bedarf auch erlaubt, einzelne Maste zwischen den Plattformen auszutauschen. Die Wahl von Lärche als Holzart wie auch die konstruktiven Details sollen zur Langlebigkeit des Aussichtsturms beitragen, ebenso das ausgeklügelte Knotensystem zum einfachen Austausch von eventuell über die Jahrzehnte marode gewordener Einzelbauteile. Das Augenmerk der Planer lag bei der Detailplanung darauf, das Hirnholz vor Feuchtigkeitszutritt zu schützen und Details so zu gestalten, dass Wasser dort, wo es hinkommt, auch zügig wieder ablaufen oder Feuchtigkeit durch Luftumspülung schnell wieder austrocknen kann. Dies berücksichtigten die Ingenieure, indem sie keine horizontalen, sondern nur geneigte Flächen ausbildeten.
Bei den Stoßpunkten Mast/Ringträger setzte man vor allem auf die Ausbildung von Tropfkanten. Dabei ist die Holzstütze, die von oben anschließt, wie eine Ummantelung rund um die Stahlplatte hinuntergeführt, der innere vertikale Rand abgeschrägt und das Ganze mit Abstand zur Anschlussplatte darunter montiert. Analog dazu erhielt die Stahlplatte für die von unten anschließende Holzstütze Tropfbleche und fungiert wie ein Deckel. In beiden Fällen kann ablaufendes Wasser nicht in die Fugen zwischen Stahlplatte und Holz eindringen, sondern tropft an den Kanten ab. Auch die Mastköpfe wurden mit entsprechenden Tropfkanten ausgeführt.
Bereits vor Baubeginn zeigte sich durch das hohe Engagement aller am Bau Beteiligten sowie die Finanzierung über Spenden und öffentlichen Gelder die große Akzeptanz und positive Einstellung in der Bevölkerung gegenüber dem Projekt. Das Turmtragwerk ist zudem so auf das Wesentliche reduziert, dass nichts davon hätte weggelassen werden können, woraus sich auch seine schlichte Schönheit ergibt. Es fügt sich ideal in die Natur ein, sowohl von der Materialwahl als auch von der Transparenz. Das scheinen auch die Besucher wahrzunehmen. Seit Eröffnung des Turms herrscht dort fast immer Hochbetrieb.
Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe
Bauvorhaben: Aussichtsturm auf dem Stellberg im Naturpark Schönbuch bei Herrenberg
Bauherr: Förderverein Aussichtsturm im Naturpark Schönbuch e.V., 71034 Böblingen, www.schoenbuchturm.de
Baukosten: 1,46 Mio. Euro
Generalunternehmen, Stahlbau und Montage: Stahlbau Urfer GmbH, 71686 Remseck, www.urfer.de
Entwurf und Tragwerksplaner: schlaich bergermann partner sbp GmbH, 70197 Stuttgart, www.sbp.de
Herstellung der Brettschichtholz-Stützen: Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG, 74523 Schwäbisch Hall, www.schaffitzel.de