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Die neue Fußgänger- und Radweg-Brücke verbindet die niederländische Stadt Delfzijl mit dem Wattenmeer. Ihre markante Z-Form nimmt die Gegebenheiten vor Ort auf: Mit dem oberen Schenkel überbrückt sie als geschlossener Trog Straße und Bahntrasse, mit dem unteren bildet sie die Topographie des Deichs nach und führt auf dessen Krone. (Foto: Aerial Promos, Lemmer, NL - Schaffitzel Holzindustrie)
Die neue Fußgänger- und Radweg-Brücke verbindet die niederländische Stadt Delfzijl mit dem Wattenmeer. Ihre markante Z-Form nimmt die Gegebenheiten vor Ort auf: Mit dem oberen Schenkel überbrückt sie als geschlossener Trog Straße und Bahntrasse, mit dem unteren bildet sie die Topographie des Deichs nach und führt auf dessen Krone. (Foto: Aerial Promos, Lemmer, NL - Schaffitzel Holzindustrie)

Trogbrücke mit Versprung

Vor der Küste der holländischen Gemeinde Delfzijl wurden im Rahmen eines Stadtentwicklungsprogramms Salzwiesen mit Sand und Schlick angelegt und der Seedeich in eine Rad- und Wanderpromenade umgewandelt. Seit Herbst 2020 verbindet auch eine neue Brücke das Stadtzentrum von Delfzijl mit dem Boulevard am Wattenmeer. Bei der Fußgänger- und Radweg-Brücke nutzten die Planenden ganz bewusst Holz fürs Haupttragwerk. In Kombination mit Stahl haben sie den Typus der Trogbrücke außerdem geschickt für ein außergewöhnliches Erscheinungsbild variiert.

Beauftragt wurde die Fußgänger- und Radwegbrücke von der Gemeinde Delfzijl. Mit dem Wunsch nach einem nachhaltigen Bauwerk stand von vornherein auch fest, dass Holz das Material der Wahl ist. NEXT Architects aus Amsterdam lieferten den Entwurf, den sie in Zusammenarbeit mit dem im Holzbrückenbau erfahrenen Ingenieurbüro Miebach aus Lohmar entwickelt haben.

Herausgekommen ist ein Tragwerk in Z-Form. Es überbrückt insgesamt 65 m. Dabei überspannt der obere Z-Schenkel mit etwa 38 m Länge eine Bahntrasse und eine Straße, während der untere mit rund 23,50 m Länge der Neigung des Deiches folgt und dabei der auf Stahlstützen aufgeständerten Fahr- bzw. Gehbahn als Unterbau dient; auf der Deichkrone treffen sie dann zusammen. Die Gehbahnbreite ändert sich über die 65 m außerdem kontinuierlich und nimmt von 4,65 m Richtung Meer auf 3,15 m ab.

Aus dem Zentrum der Stadt kommend, öffnet sich der Blick bei Überquerung der Brücke zum Strand und dem Ems-Kanal. So verbindet das Bauwerk den Nutzer sowohl physisch als auch mental mit der Umgebung, so die Idee der Architekten. Die außergewöhnliche Form gibt der Brücke zudem eine eigene Identität und Handschrift: Aus der Ferne ist sie an ihrer markanten Form zu erkennen, in der Nähe liegt der Mehrwert im Erleben des Holzes und dem Kontrast zwischen dem offenen und geschlossenen Bereich als Teil des Weges zum Meer.

Der auf Stahlstützen aufgeständerte Teil der Gehbahn führt – seitlich transparent für einen Rundum-Ausblick – auf den Deich. Dabei teilt die „V-Stütze“ das Tragwerk in zwei Felder auf. (Foto: Aerial Promos, Lemmer, NL - Schaffitzel Holzindustrie)
Eine der Herausforderungen und Besonderheiten bestand darin, dass alle Bauteile geneigt angeordnet sind. (Foto: Aerial Promos, Lemmer, NL - Schaffitzel Holzindustrie)
Regelquerschnitt der Trogbrücke mit variabler Gehbahnbreite. Um die erforderliche Geländerhöhe von 1,30 m zu erreichen wird innenseitig an den U-förmigen Stahlrahmen ein zusätzlicher Handlauf angebracht ... (Zeichnung: Ingenieurbüro Miebach)
... und im aufgeständerten Teil der Brücke Edelstahlnetze eingefügt. Die Trogbrücke lenkt den Blick mit ihren konisch geformten und am Übergang zum aufgelösten Brückenteil 2 m hohen Hauptträgern in Richtung Meer. (Foto: Aerial Promos, Lemmer, NL - Schaffitzel Holzindustrie)

Tragwerk vereint eingebettete und aufgelöste Trogbrücke

Vom Brückentypus her handelt es sich um eine Trogbrücke, das heißt der Querschnitt bildet die Form eines Trogs. Dennoch ist das Tragsystem der Brücke zweigeteilt: zum einen in den Teil mit eben jenem Trogquerschnitt, den zwei Brettschicht(BS)-Holz-Träger mit dazwischen liegender Gehbahn bilden, zum andern in einen Teil, der die Trogform variiert indem die beiden BS-Holz-Träger nach unten verspringen und eine darauf aufgeständerte Konstruktion die Gehbahn stützt. Dabei bildet der „echte Trog“ den dominanten Teil der Brücke, dessen Höhenposition das Lichtraumprofil der Bahn bestimmt. Der maßgebende Punkt in diesem Bereich liegt 16 m weit vom stadtzugewandten Widerlager entfernt. Damit die Verformung bzw. Durchbiegung der Brückenkonstruktion infolge Verkehrslasten und Eigengewicht hier nicht das Lichtraumprofil der Bahn berührt, wurde sie überhöht ausgeführt.

Bei der Dimensionierung und Ausführung des Tragwerks galt es auch, Erdbebenlasten zu berücksichtigen – Delfzijl liegt in einer Erdbebenzone. Die Konstruktion musste außerdem so ausgelegt werden, dass Setzungen der Gründung auf dem Deich spannungsarm aufgenommen werden können.

Der eine Teil der insgesamt 65 m langen Brücke ist eine „klassisch“ eingebettete Trogbrücke von etwa 38 m Länge, der andere Teil eine aufgeständerte Gehbahn von etwa 27 m Länge als aufgelöste Trogbrücke mit nach unten verspringenden Trägern. (Zeichnung: Ingenieurbüro Miebach)
Die V-förmigen Portalrahmen nehmen an den Stützenenden oben und unten die Hauptträger auf. (Zeichnung: Ingenieurbüro Miebach)
Die überstehenden Bleche der werkseitig aufgebrachten Stahllaschen auf den Hauptträger-Enden und den Köpfen der V-Stützen ermöglichten eine einfache Verbindung der Bauteile. (Foto: Wagenborg)

So spannen die blockverklebten BS-Holz-Hauptträger mit rund 38 m Länge vom Widerlager, wo sie über eingeklebte Gewindestanden verankert sind, zum geneigten, V-förmigen mittigen Portalrahmen. Dieser besteht ebenfalls aus blockverklebten BS-Holz-Trägern bzw. -Stielen mit Stahlauskreuzungen. Die konisch geformten Hauptträger (hvariabel: 1,40 m bis 2 m) schließen hier, am hohen Ende, über stirnseitig aufgebrachte Stahllaschen an die Schmalseiten der Rahmenstiele an bzw. über gelenkig ausgebildete Stahlanschlussbleche im Rahmenzwickel, sodass aufgelöste biegesteife Rahmenecken entstehen. Der Portalrahmen selbst ist an den Fußpunkten gelenkig ausgeführt, ebenso die beiden daran anschließenden, 23,50 m langen BS-Holz-Träger für die aufgeständerte Gehbahn, die zur Deichkrone spannt.

Isometrie mit Stahllaschen-Anschluss der Hauptträger an die Portalrahmen-Stiele. (Bildquelle: Schaffitzel Holzindustrie)
Isometrie des Stahlgerippes der Brücke (Bildquelle: Schaffitzel Holzindustrie)
Querschnitt mit unten liegendem Tragwerk und darauf aufgeständerter Gehbahn (Zeichnung: Ingenieurbüro Miebach)
Werkseitige Vorfertigung der BS-Holz-Träger samt Bekleidung aus Accoya-Brettlamellen, die als „Opferschicht“ fungieren und aus dem Bauwerk eine geschützte Brücke machen. (Foto: Schaffitzel Holzindustrie)
Die parallel zum Belag angeordneten Bretter sind als konstruktiver Holzschutz (samt Abdeckblech) nicht nur notwendiges Beiwerk, sondern auch gestalterisch mitprägend. (Foto: Schaffitzel Holzindustrie)
Vormontierter Brückenteil mit Trägerrost für die Gehbahn. (Foto: Wagenborg)
Transport per LKW (Foto: Wagenborg)
Brückenmontage mit Mobilkränen (Foto: Wagenborg)
Markante Holzbrücke als Tor zum Weltnaturerbe Wattenmeer (Foto: Aerial Promos, Lemmer, NL - Schaffitzel Holzindustrie)

Als Sekundärtragwerk fungieren zwischen die Hauptträger, im Abstand von 2,20 m eingefügte Querträger bzw. U-Rahmen aus Stahl samt Stahlauskreuzungen. Letztere sorgen für die horizontale Aussteifung. Die vertikalen Schenkel der U-Rahmen halten im Bereich des „echten Troges“ aber auch die Hauptträger seitlich und sichern sie gegen Kippen und Torsion. Überhaupt bestand eine der Herausforderungen und Besonderheit darin, dass alle Bauteile geneigt angeordnet sind.

Zwischen die Flansche der Stahlquerträger eingefügte BS-Holz-Längsträger bilden die Unterkonstruktion für die 4 cm dicke Gehbahn aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK). Das Längsgefälle mit Gefällewechsel im Bereich des Lichtraumprofils der Bahn sorgt zusammen mit den beidseitig am Längsrand der Gehbahn angeordneten Rinnen für die Entwässerung. Fallrohre an den Widerlagern leiten es ab. Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe

Bautafel

Bauherrschaft: Gemeinde Delfzijl, NL-9930 PA Delfzijl

Bauzeit: August 2020 bis Februar 2021

Architektur: NEXT Architects, NL-1096 BK Amsterdam, 
www.nextarchitects.com

Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Miebach, D-53797 Lohmar, 
www.ib-miebach.de

Ausführendes Holzbau-Unternehmen:

Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG, D-74523 Schwäbisch Hall, 
www.schaffitzel.de

Koordination und Bauleitung: Invraplus, NL-9751 PE Haren, 
https://invraplus.nl/

Verbautes Material
ca. 105 m3 (europäisches) Brettschichtholz
ca. 30 to Stahlteile (S355 feuerverzinkt)
ca. 1000 m2 Accoya Rombus-Schalung

Link-Tipps:

https://tinyurl.com/4zffemru
https://tinyurl.com/sfwr5npj
https://tinyurl.com/wh2an8kb