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Das Tragwerk der knapp 100 m langen Brücke in Neckartenzlingen bildet eine blockverklebte Brettschichtholz-Konstruktion mit variabler Querschnittshöhe und -breite. (Foto: Ingenieurbüro Miebach / Fotograf Walther)
Die Trägerhöhe korrespondiert mit der Momentenlinie. (Foto: Ingenieurbüro Miebach / Fotograf Walther)
Die Brücke erhielt einen schützenden Belag aus Betonfertigteilen sowie ein Geländer mit horizontalen Edelstahldrahtseilen und einem Handlauf aus acetyliertem Brettschichtholz. (Foto: Ingenieurbüro Miebach / Fotograf Walther)
Dynamische Linien laden zur Fahrt über die Brücke ein. Das sanfte Längsgefälle sorgt bei Regen auch für eine gute Entwässerung. (Foto: Ingenieurbüro Miebach / Fotograf Walther)
Der aus Transport- und Montagegründen in der Längsachse geteilte Brückenkörper ist in Längs- und Querrichtung abgestuft. (Foto: Ingenieurbüro Miebach / Fotograf Walther)
Die Betonplatten „überdachen“ den hölzernen Brückenkörper. Der seitliche Überstand und der sich nach unten verjüngte Querschnitt schützen das Holz vor Schlagregen. (Foto: Ingenieurbüro Miebach / Fotograf Walther)

Stufenweise überbrückt

Mit dem Bau der Fußgänger- und Radwegbrücke über den Neckar entschied sich die Gemeinde Neckartenzlingen im Landkreis Esslingen für eine neue Generation von Holzbrücken. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung im Frühjahr 2017 war die Art der 96 m langen Konstruktion einzigartig in Deutschland und damit auch ein Vorzeigeobjekt des Holzbrückenbaus. Die Form des nach unten abgestuften Brückenkörpers aus blockverklebtem Brettschichtholz schützt zusammen mit dem Betonbelag das Holz vor Bewitterung. 

Die Planer konnten die Bauherrschaft, die anfangs eine Stahlbrücke avisierte, von den wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen einer Holzbrücke überzeugen. Und so leistete die Gemeinde Neckartenzlingen mit der Entscheidung ‚pro Holz‘ nicht nur einen bewussten Beitrag zum angewandten Klimaschutz, sondern erhielt für die Brücke vom Land Baden-Württemberg und von der Region Stuttgart auch eine Förderung von insgesamt 770.000 Euro.

Mit drei Feldern den Fluss überbrückt

Die knapp 96 m lange und 3 m breite Brücke ist Teil der Streckenführung des Neckartalradweges und fügt sich mit eigener Ästhetik in die Umgebung ein. Sie folgt im Grundriss einer flachen S-Form, die sich an dem anschließenden Wegeverlauf orientiert, sodass Weg und Brücke natürlich ineinander übergehen. Die Feldweiten der als Dreifeldträger angelegten Konstruktion ergeben sich aus Lage und Breite des Flusses und der zu verbindenden Ufer: das Mittelfeld hat eine Spannweite von 44,50 m, die Randfelder jeweils eine von 25,65 m. Das mittlere, gerade Hauptfeld verläuft in einem Winkel von 85 gon über den Neckar. Die beiden Felder über den Vorlandbereichen sind im Grundriss gebogen und folgen einem Radius von etwa 65,25 m. Der Brückenkörper lagert auf zwei Mittelpfeilern und den Widerlagern aus Stahlbeton.

Längsschnitt und S-förmiger Grundriss der 96 m langen Fußgänger- und Radwegbrücke. Die drei Felder ergeben sich aus der Breite des Flusses und der Länge der Vorlandbereiche. Die Höhe der Brücke bzw. die der Widerlager ergibt sich aus der Höhe des ansteigenden Wassers bei einem Jahrhundert-Hochwasser (HQ 100) unter Berücksichtigung eines Freibords. (Bildquelle: Ingenieurbüro Miebach)

Tragsystem mit Gerbergelenken für optimale Trägerlängen

Die Ausformung des blockverklebten Brettschicht(BS-)Holz-Trägers in Brückenlängsrichtung ergibt sich aus der Beanspruchung bzw. der Momentenlinie des statischen Systems und liefert dadurch eine effiziente Materialausnutzung; die Abstufung in Querrichtung dagegen ist Teil des konstruktiven Holzschutzkonzeptes. Um die Brückenträger in sinnvolle Transport- und Montagelängen einteilen zu können, wählten die Ingenieure als Tragsystem den Durchlaufträger mit Gerbergelenken.

Die Gelenke wurden im Mittelfeld, in den Punkten des Momenten-Nulldurchganges, angeordnet; das heißt 10,20 m von den Brückenpfeilern entfernt. Der Dreifeldträger „zerfällt“ damit für die Montage zu zwei im Grundriss gebogenen Einfeldträgern mit 10,20 m langen Kragarmen (Gesamtlänge des Trägers: 35,85 m) und einem 24 m langen Mittelteil als Einhängeträger. Die Gerbergelenke sind damit gleichzeitig die Montagestöße.

Aus den beiden Brückenpfeilern ragen einbetonierte Stahlprofile heraus. Sie nehmen die Torsionskräfte aus dem hölzernen Brückenkörper auf und sichern ihn gegen Kippen. (Foto: Schaffitzel Holzindustrie)
Detailschnitt an den Brückenpfeilern mit Einspannprofil und Querschnittskopplung (Foto Zeichnung: Ingenieurbüro Miebach)
Wegen ihrer Krümmung war der Transport der Kragträger nur in vier Teilen möglich. Zur Baustelle kamen vier „halbe Einfeldträger mit Kragarm“ und das Mittelstück als Ganzes. Letzteres ließ sich als gerades Trägerteil komplett vorgefertigt anliefern. (Foto: Gemeinde Neckartenzlingen - Helmut Kern)
Im Mittelfeld der Brücke wurden zwei Gerbergelenke angeordnet. So ergeben sich bei der Montage von den Widerlagern ausgehend zwei Einfeldträger mit Kragarm. Ein Einhängeträger verbindet sie und vervollständigt das System zum Dreifeldträger. (Foto: Schaffitzel Holzindustrie)
Stahlanschlussteile für das Gerbergelenk an den Trägerstirnseiten (Foto: Ingenieurbüro Miebach)
Links: Regelquerschnitt des zweiteiligen Brückenkörpers der Endfelder bis zum Gelenk bzw. Montagestoß. Rechts: Regelquerschnitt des Einhängeträgers im Mittelfeld (Bildquelle: Ingenieurbüro Miebach)

Variable Trägerhöhen korrespondieren mit dem Momentenverlauf

Über die Länge der Brücke passt sich die Trägerhöhe entsprechend der Momentenlinie an, sodass sich im Bereich der Stützmomente über den Pfeilern mit rund 2 m die größte Querschnittshöhe ergibt. Für den Einhängeträger haben die Planer über eine Länge von rund 5 m eine konstante Querschnittshöhe von 80 cm gewählt. Lediglich zu den Gelenken hin nimmt sie auf 120 cm zu. Um diese Geometrie zu erreichen, hat man hier BS-Holz der Festigkeitsklasse GL 30c gewählt anstelle von GL 24h.
 

Der Brückenkörper wurden aus Transport- und Montagegründen sowie aus Gründen einer Leerrohrführung in Richtung der Brückenlängsachse halbiert und besteht somit aus sechs Einzelträgern. An den Außenseiten wurden sie in Höhenabstufungen von 16 cm jeweils 8 cm zurückgenommen, so dass sich ein abgetreppter Querschnitt ergibt. Für diese Geometrie bot sich besonders die Blockverklebung an, da die Bauteile bereits vor der Verklebung zugeschnitten werden können und durch die Verklebung die abgetreppte Form erhalten. Aufwändige Fräsungen wie sie bei Rundungen oder Ähnlichem erforderlich wären, entfallen.

Die Fuge des in der Längsachse geteilten Brückenkörpers beträgt 20 cm. (Foto: Ingenieurbüro Miebach / Fotograf Walther)
Die Querschotts verbinden die beiden Trägerhälften miteinander. Auf diese Weise wird die Torsionssteifigkeit des gesamten Brückenkörpers erhöht. (Bildquelle: Gemeinde Neckartenzlingen / Helmut Kern)
Brückenquerschnitt im Bereich der Querschotts des Typs 1 und des Typs 2 (Bildquelle: Ingenieurbüro Miebach)

Geschütztes Holz durch geschlossene Fahrbahn und abgestufte Seiten

Die Brücke ist nach DIN EN 1995-2/NA (Eurocode 5) als geschützte Bauweise einzustufen. Der seitliche Überstand des Belages sowie die veränderliche Querschnittsbreite sorgen dabei für einen ausreichenden Schlagregenschutz. Darüber hinaus wurde ein geschlossener „dichter“ Belag aus Stahlbeton-Fertigteilen ausgewählt. Für die Entwässerung der Fahrbahn sorgen Längs- und Quergefälle. Zum Holzschutzkonzept der Brücke gehört auch ein Feuchte-Monitoringsystem, das über den Mittelpfeilern in Form einer Feuchte-Mess-Lamelle angebracht ist. 
Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe, Fabian Wolf (B. Eng. Holzingenieurwesen), Ingenieurbüro Miebach, Lohmar

Bautafel:

Standort: Rad- und Fußgängerbrücke, D-72654 Neckartenzlingen, zwischen „Tübinger Straße“ und „In der Steige“

Baujahr: 2017

Baukosten: 1,27 Mio. Euro (brutto), Anteil Holzbau: 510.000 Euro

Bauherrschaft: Gemeinde Neckartenzlingen, D-72654 Neckartenzlingen

Objekt- und Tragwerksplanung:
Ingenieurbüro Miebach, D-53797 Lohmar, www.ib-miebach.de

Bauüberwachung: Ingenieurbüro Miebach mit Ingenieurbüro Blankenhorn, D-72622 Nürtingen, www.ing-blankenhorn.de

Generalunternehmer (Betonbau, Belag):
Gottlob Brodbeck GmbH & Co. KG, D-72555 Metzingen, www.g-brodbeck.de 

Holzbau / Konstruktion:
Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG, D-74523 Schwäbisch Hall, www.schaffitzel.de