Der Fugger-Pavillon, ein Temporärbau in Holzbauweise, besitzt eine vermeintlich schlichte Form. Er stand im Mai 2022 – anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der ältesten Sozialsiedllung der Welt namens „Fuggerei“ – wie eine Skulptur auf dem Rathausplatz von Augsburg. Doch die Röhre mit Satteldach und Abzweig nach oben warf einige tragwerksplanerische Fragen auf, die alles andere als schlicht waren.
Die Fuggerei in Augsburg feierte im Mai 2022 ihr 500-jähriges Jubiläum – unter anderem mit einem eindrucksvollen Holzpavillon. Innerhalb von zwei Wochen entstand auf dem Augsburger Rathausplatz eine architektonische Skulptur, die mit ihrem Satteldach zum einen an die historischen Häuser der Fuggerei erinnerte, zum anderen aber auch die Möglichkeiten des modernen Ingenieurholzbaus zeigte.
Dieser Pavillon mit dem Namen „NEXT500“ greift gestalterische Elemente der historischen Fuggerei auf und „katapultiere diese dynamisch-geschwungen in die Zukunft“, so der Architekt Jacob van Rijs des Rotterdamer Architekturbüros MVRDV. Die lang gestreckten Reihenhäuser und deren typische Giebelansichten mit Satteldach haben den Entwurf inspiriert. Dabei wurde die etwa 5 m breite und 7 m hohe Ausgangsform quasi extrudiert und nach etwa 10 m Länge in einem geschwungenen Bogen vom Boden weg als 8,50 m große Auskragung in die Höhe geführt. Zum Rathaus hin ausgerichtet diente der Pavillon am höchsten Punkt auch als Aussichtsplattform auf selbiges.
Errichtet wurde das Gebäude aus Brettsperrholz: Wände, Boden und Dach bestehen aus vorgefertigten Elementen. Ziel dabei war, das statische Potenzial des nachhaltigen Materials und des Ingenieurholzbaus zu demonstrieren. Denn tragwerksplanerisch hat es die vermeintlich einfache Form durchaus in sich – insbesondere der Übergang vom geraden Teil zur Auskragung sowie die Auskragung selbst.
Bei der Entwicklung der Konstruktion galt es, den kompletten Bausatz des Pavillons als Temporärbau so zu konzipieren, dass er einmal komplett auf-, anschließend wieder zerstörungsfrei abgebaut und an anderer Stelle wiederholt aufgebaut werden kann. Dies stellte die Ingenieure zunächst vor die Aufgabe, entsprechende Verbindungsmittel und -typen zu finden, die für das mehrmalige Montieren und Demontieren geeignet sind. Anschließend war zu prüfen, welche Rahmenbedingungen die Produktion vorgibt – dies vor allem in Bezug auf zwei Aspekte: „was sind die größten bzw. kleinsten Krümmungen, die gebogen werden können“ und „welche Bauteilgrößen passen noch in die Pressbetten hinein“.
Und zu guter Letzt ging es um die geschickte Aufteilung der Geometrie des Pavillons.
Die Außenhülle bilden zwischen 36 m² und 50 m² große, vorgefertigte und bis zu 6 t schwere Brettsperrholz-Einzelbauteile. Um die aufwändigen und zum Teil mehrfach gekrümmten Freiform-Elemente fertigen zu können, wurde der Pavillon als exaktes 3D-CAD-Modell erstellt und soweit möglich abgebunden bzw. von einem 8-Achs-CNC-gesteuerten Roboter bearbeitet. Alle Bearbeitungen, die außerhalb des Bearbeitungsbereiches des Roboters lagen, wurden im Handabbund nachträglich angefertigt.
Die stumpf gestoßenen Elemente schmiegten sich mit ihren unterschiedlich geneigten und über die Länge verwundenen Stoßfugenflächen wie Puzzlestücke aneinander. Ringkeildübel und quer über die Stoßfugen aufgeschraubte Stahllaschen und -winkel verbinden sie zu biegesteifen Dach- und Wandflächen bzw. zu einer in sich stabilen Röhre. Die Herausforderung bei der Tragwerksplanung des Bauwerks lag nicht so sehr darin, die Plattenquerschnitte, also deren Formate und Plattenstärken, entsprechend groß zu dimensionieren, sondern eher darin, die Verbindungsmittel so auszulegen, dass sich der auskragende Gebäudeteil bei Belastung am Kragarmende nicht zu weit durchbiegt oder, dass sich das ganze System nicht als zu weich herausstellt, wenn sich die Kräfte aufgrund von Zusatzverformungen doch anders verteilen als angenommen. So ziehen beispielsweise im Bereich des auskragenden Gebäudeteils die Vertikalkräfte aus Eigengewicht und Nutzlasten den Kragarm nach unten und erzeugen dadurch abhebende Kräfte im Bereich des Außenradius’. Diese Zugkräfte mussten mit eigens dafür angefertigten, verdeckt eingebauten Stahlteilen verankert werden. Gleichzeitig stützt sich das Gebäude dabei im Bereich des Innenradius’ ab. Solche und einige andere besondere Lasteinwirkungen und -verteilungen galt es zu berücksichtigen.
Nach der Jubiläumsveranstaltung wurde der Pavillon demontiert und im niederländischen Groningen im Kunst- und Skulpturenpark der Stiftung Fraeylemaborg wiederaufgebaut. Zwar sollte er in Augsburg bleiben und für zehn Jahre seinen Standort in der Fuggerei erhalten. Da die Fuggerei jedoch unter Ensembleschutz steht, durfte dort kein neues Gebäude eingefügt werden. Daher musste sich die Stiftung nach einer anderen Verwertung und anderen Nutzern umsehen, die sie dann in Groningen gefunden hat.
Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe
Bauherrin: Fürstlich und Gräflich Fuggersche Stiftungen, D-86152 Augsburg, www.fugger.de
Architekturbüro: MVRDV, NL-3002 JC Rotterdam, www.mvrdv.nl
Tragwerksplanung, Fertigung und Montage: ZÜBLIN Timber GmbH, D-86551 Aichach, www.zueblin-timber.com
Neuer Standort: Kunst- und Skulpturenpark Stiftung Fraeylemaborg,NL-Groningen, www.fraeylemaborg.nl