Eine ausladende Überdachung aus Brettschichtholz ist der markante Blickfang des neuen Bahnhofs im niederländischen Assen. Was einfach daher kommt, ist das Ergebnis tragwerksplanerischer Detailarbeit in Kombination mit gekonntem Einsatz parametrischer Planungssoftware.
Dipl.-Ing. Frank Miebach
Ingenieurbüro Miebach, Lohmar
Mit der außergewöhnlichen Überdachung des neuen Bahnhofs in der niederländischen Provinzhauptstadt Assen ist es gelungen, zwei Stadtteile miteinander zu verbinden und dem Bahnhofsviertel eine neue Identität zu geben. Markanter Blickfang des dreieckigen Dachtragwerks in Holzbauweise ist die von der einen Seite weit auskragende Spitze und von der anderen Seite der Schwung im Dach.
Der Siegerentwurf des international ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs stammt von „Team A“, ein Zusammenschluss der beiden niederländischen Architekturbüros Powerhouse Company und De Zwarte Hond. Die Idee war, ein verknüpfendes Element zu schaffen, das durch seine Form die Nutzung darunter widerspiegelt. Zum einen wollte man in Richtung Westen, dem Eingang zur Innenstadt, besonders viel überdachte Fläche für Pavillons und Aufenthaltsbereiche, zum anderen eine Anbindung zum Stadtbereich auf der anderen Seite der Gleise schaffen. Daraus entwickelte sich die Dreiecksstruktur, für die das Architektenteam einen Holzbau vorsah.
Bei der Dachform handelt es sich um ein ungleichseitiges Dreieck, also eines mit drei verschiedenen Kantenlängen: 90 m, 87 m und 77 m. Die kürzeste der drei Kanten ist zudem aufgewölbt, um für den Zugverkehr darunter den erforderliche Platz zu schaffen. Das Dachtragwerk aus Brettschichtholz-Bindern ruht auf Stahlstützen mit sternförmigen Auskragungen.
Dass sich die Form des Dreiecks für ein Flächentragwerk gut eignen würde, hatte man von Anfang an im Blick. Nicht zuletzt, weil ein Dreieck in sich stabil ist und sich selber bzw. als netzähnliche Dreiecksstruktur das gesamte Dach aussteift. So greift der Entwurf die Gesamtform im Einzelelement wieder auf.
Um den Bereich unter der Überdachung mit viel Tageslicht zu versorgen, erhielt die Konstruktion eine aufgeständerte Dacheindeckung aus transparenten Polycarbonatplatten. Lediglich die Randbereiche sind als Gründach ausgeführt.
Das Dreiecksdach bildet eine schiefe Ebene, so dass alle Eckpunkte auf unterschiedlichen Höhen liegen. Das war gestalterisch gewünscht, stellt aber auch die Entwässerung sicher. Da nun im Bereich der Bahntrasse eine der Dachkanten das Lichtraumprofil durchquerte, schufen die Architekten Platz indem sie diesen Dachrand bzw. die Dachfläche so weit aufwölbten, dass das erforderliche Lichtraumprofil für die Züge darunter untergebracht werden konnte.Diese Aufwölbung verkomplizierte die Tragwerksplanung allerdings dahingehend, dass man nun keine ebene Dreiecksfläche mit Dreiecksunterteilungen mehr hatte und die vielen Bauteile nicht mehr alle gleich ausführen bzw. das Tragwerk nicht mehr nur im Raum verschwenken konnte.
Jetzt war noch die dritte Dimension zu berücksichtigen. Die Knotenpunkte der Struktur mussten im aufgewölbten Bereich wie ein Netz an Fäden unterschiedlich weit nach oben verzogen werden.
Damit erhielt man ein Tragwerk, das in der Grundriss-Projektion zwar identisch mit einem ebenen Tragwerk ist, das Verziehen der Knotenpunkte in die Vertikale führte allerdings dazu, dass sich die Länge der Stäbe änderte sowie ihre räumliche Lage und damit ihre Geometrie. Die Folge: Jeder Träger erhielt eine andere Neigung sowie in verschiedenen Winkeln abgelängte Ende.
Über dreidimensionale Computer-Modelle und ihre parametrische Bearbeitung konnten die holzbauerfahrenen Ingenieure den dadurch entstandene Mehraufwand jedoch ein Stück weit kompensieren, die vielen Stahlknoten- und Dachträger-Unikate parametrisch entwickeln und damit schließlich sogar die abbundfähige Werkplanung erstellen. Entstanden ist eine formschöne Überdachung mit Strahlkraft, die sich seit Fertigstellung Anfang 2020 hoher Aufmerksamkeit erfreut.
(Dipl.-Ing (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe)
Eingeschlitzte Bleche als vierschnittiger Anschluss mit Stabdübeln schließen als Stahl-Stahl-Verbindungen biegesteif an den sternförmigen Knotenverbinder an. Diese Lösung erwies sich als besonders effiziente Verbindung. (Bildquelle: Ing.-Büro Miebach)
Im Verbindungsknoten angeschlossene Brettschichtholz-Hauptbinder auf einer Stahlstütze mit sternförmig auskragenden Stahlträgern (Bildquelle: Ing.-Büro Miebach)
Bauvorhaben:
Bahnhofsüberdachung in Assen in den Niederlanden
Bauweise: Ingenieurholzbau
Montage Holzdach:
September 2017 bis Mai 2018
Fertigstellung Gesamtprojekt „Bahnhof“: Anfang 2020
Bauherr:
Gemeente Assen, NL-9401 KZ Assen
ProRail NL, NL-3013 AA Rotterdam
Architektur:
TEAM A: Powerhouse Company,
NL-3016 CK Rotterdam
www.powerhouse-company.com,
De Zwarte Hond,NL-9712 AC Groningen,
www.dezwartehond.nl
Tragwerksplanung (Dachtragwerk):
Ing.-Büro Miebach, D-53797 Lohmar,
https://www.ib-miebach.de/
Holzbau:
Heko Spanten B.V., NL 6710 BC Ede-West,
www.hekospanten.nl
Stahlbau:
Broeze Nijverdal B.V., NL-7442 CV Nijverdal,
Generalunternehmer:
Hegeman Beton- en Industriebouw BV., NL-7442 DL
Nijverdal, hegeman.com