Menu
Die LogiMAT, Internationale Fachmesse für Intralogistik-Lösungen und Prozessmanagement, in der Paul Horn Halle der Messe Stuttgart. (Bildquelle: Messe Stuttgart)
Die Messe LogiMAT unter den 68 Meter breiten Brettschichtholzbindern. Diese überspannen das Mittelschiff der dreischiffigen Halle und verleihen ihr somit eine ganz besondere Ausstrahlung. (Bildquelle: Messe Stuttgart)
Trick 17 für Halle 10

"Neue Halle 10" der Messe Stuttgart:
Dachkonstruktion mit Brettschichtholz-Trägern

Die als Paul Horn Halle getaufte „Neue Halle 10“ der Messe Stuttgart ist die einzige Messehalle, bei der für die Dachkonstruktion Holz statt Stahl verwendet wurde. Optisch hat man sie an die Form der bestehenden Hallen angepasst. Sie ist jedoch erheblich breiter als ihre Vorgänger, was im Hinblick auf die begrenzte Fertigungslänge von Brettschichtholz-Trägern ein besonderes tragwerksplanerisches Konzept erforderte.

Die Messe Stuttgart, direkt gegenüber des Stuttgarter Flughafens, wurde 2007 in Betrieb genommen. Der Erfolg dieses Großprojekts übertraf schon bald die erwartete Besucher- und Ausstellerfrequenz, sodass eine Vergrößerung der Ausstellungsflächen erforderlich wurde und damit eine neue Halle. Der Entwurf des Neubaus mit dem zurückversetzten, konkav geschwungenen Dachaufsatz ist vor allem architektonisch bedingt, aber zu guter Letzt auch tragwerksplanerisch von den Möglichkeiten des Holzbaus abgeleitet. Denn das Problem bei der Formfindung lag vor allem darin, dass der 165 m lange Hallenbau statt der sonst 70 m Gebäudebreite eine Breite von rund 100 m haben sollte. Gleichzeitig standen dafür aber 30 Prozent weniger Budget zur Verfügung, was es nicht erlaubte, eine ähnliche Ausführung wie bei den bisherigen Hängedächern in Betracht zu ziehen. Außerdem wünschte die Bauherrin für ihre „Corporate Events“, bei denen die Hallen besonders geschmückt werden, eine „Konstruktion mit warmer Ausstrahlung“, woraus sich die Idee ergab, eine Holzkonstruktion zu realisieren.

Visualisierung der „Neuen Halle 10“ (Paul Horn Halle) mit aufgeständertem und zurückgenommenem Dach. Während an den höhenversetzten Übergängen der beiden Dächer großzügige Glasfassaden für eine natürliche Belichtung der Halle sorgen, sind die Fassaden überwiegend geschlossen gehalten. (Bildquelle: Wulf Architekten)
Fotomontage der komplettierten Messe Stuttgart, bestehend aus Luftaufnahme und Visualisierung der neuen Paul Horn Halle (Bildquelle: Wulf Architekten / Hajo Dietz)

Maximale Fertigungslänge für Träger beeinflusst Entwurf

Einen limitierenden Faktor für ein Dachtragwerk aus Holz stellten bei dieser Gebäudegröße die Spannbetten für die Herstellung entsprechend langer Dachbinder aus Brettschichtholz sowie die Transportmöglichkeiten dar; die meisten Spannbetten ermöglichen nur Längen bis maximal 52 m. Diesen Aspekt hatte der Entwurf zu berücksichtigen, was bei einer Hallenbreite von 100 m natürlich eine erhebliche Einschränkung bedeutete.

Hinzu kam außerdem, dass die Bauherrin auf keinen Fall eine Mittelstützenreihe wollte, um eine freie Einteilung der Halle für Messen und sonstige Events zu gewährleisten. So ergab sich die Positionierung der Stützen hauptsächlich daraus, wo sie unter Berücksichtigung der Anordnung der Gänge bei Messen am wenigsten stören. Nach einem längeren Entwurfs- und Vordimensionierungsprozess der Planer kristallisierte sich als Tragsystem eine Mischkonstruktion heraus. So besteht das Hallendach aus drei voneinander abhängigen Teilkonstruktionen: zwei spiegelbildlich angelegte, 17,5 m breite Seitenschiffe in Stahlbauweise und einem darauf aufsetzenden Mittelschiff in Holzbauweise. Die Seitenschiffe bilden 17,50 m lange Stahlträger auf zwei Stützen mit nach oben geknickten Kragarmen zur Hallenmitte hin. Auf diesen Kragarmenden liegt ein Stahlrundrohrträger auf, der die Holzkonstruktion des Mittelschiffs trägt. Durch die 45° nach oben geknickten Kragarme konnte die Spannweite zwischen den Hallen-Innenstützen von 65 m auf knapp 48 m zwischen den Kragarmenden verringert, also eine Spannweitenverkürzung von 8,50 m je Seite erreicht werden. So stand dem Einsatz von Brettschichtholz-Trägern nichts mehr im Wege.

 

Skizze: Die Halle 10 (rot, vorne rechts) ist deutlich breiter als die bestehenden Hallen (orange). (Bildquelle: Wulf Architekten)

Isometrie des Tragwerkskonzepts: Brettschichtholz-Bogenbinder im Abstand von 3,375 m überspannen das Mittelschiff der 165 m langen und 100 m breiten Paul Horn Halle. Stahlträger mit abgeknickten Kragarmen (grün) (e = 6,75 m) auf Stützen bzw. Abfangträgern auf Stützen dienen als Auflager. (Bildquelle: Boll und Partner)

Bogenbinder mit zwei Kragarmen konzipiert

Die hölzerne Dachkonstruktion über dem Mittelschiff bilden schließlich Brettschichtholz-Bogenbinder im Achsabstand von 3,375 m. Um sie mit einer abgewickelten Länge von 49,50 m über die stählernen Kragarmenden hinaus zu verlängern, schließen beidseitig knapp 9,65 m lange Brettschichtholz-Kragarme an.

Um eine optimale Trägerform bei gleichzeitig wirtschaftlichem Querschnitt zu erhalten, wurden die Binder sichelförmig ausgebildet. Das heißt in Trägermitte, an der Stelle der größten Beanspruchung, sind sie am höchsten, zu den Auflagern hin nehmen sie dann kontinuierlich ab. Entsprechend sind die Kragträger ausgeführt: sie verjüngen sich von 1,40 m Höhe auf knapp 30 cm. Diese Ausführung sparte ebenso Material und Gewicht wie Geld.

Unten brandschutzbeschichtet, oben Feuerwiderstandsklasse F0

Alle Stützen der Stahlkonstruktionen sind F60-brandschutz-beschichtet. Alles oberhalb der Stahlkonstruktion, also das Holztragwerk, hatte keine Brandschutzanforderungen zu erfüllen. So galt für die Bogenbinder eine Feuerwiderstandsklasse von F0.

Die Einweihung der Paul Horn Halle erfolgte im Januar 2018 mit der CMT, der weltweit größten Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit. Sie fand viel Anklang – gerade wegen ihrer angenehmen Ausstrahlung.

(Text: Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe)

Das Foto zeigt die Holzdachkonstruktion des Mittelschiffs, die durch die Aufständerung und die dahinter liegenden Glasfassaden optisch zu schweben scheint. (Bildquelle: Wulf Architekten)
Mit einer (unterseitigen) Abwicklungslänge von 49,50 m schließen die Bogen-Hauptbinder an die stählernen Stahlrundrohrträger an, die die Enden der geneigten Stahl-Kragarme verbinden. Die knapp 9,65 m langen Brettschichtholz-Kragarme verlängern die Hauptbinder beidseitig über diese Auflager hinaus. (Bildquelle: Derix-Gruppe)
Querschnitt: Bedingt durch ihre große Spannweite wird die Halle dreischiffig ausgebildet. Den „aufgeständerten“ Mittelteil des Daches, dessen Spannweite mithilfe der geneigten Stahl-Kragarme verringert werden konnte, überspannen konkav gebogene Brettschichtholz-Binder. (Bildquelle: Wulf Architekten)

Projektdaten im Überblick:

Bauvorhaben:                    
Halle 10 (Paul Horn Halle), Messe Stuttgart, D-70629 Stuttgart, www.messe-stuttgart.de

Bauweise: Ingenieur-Holzbau

Baukosten: ca. 65 Mio. Euro

Bauherr:
Projektgesellschaft Neue Messe GmbH & Co. KG, D-70629 Stuttgart, www.messeerweiterung-stuttgart.de

Planungsgemeinschaft Bau Neue Messe Stuttgart:
wulf architekten GmbH und Adler & Olesch Landschaftsarchitekten GmbHElster

Architektur:  
wulf architekten GmbH, D-70174 Stuttgart, www.wulfarchitekten.com

Bauleitung:                        
Jo Carle Architekten, D-70182 Stuttgart, www.jocarle.de

Tragwerksplanung:              
Boll und Partner – Structural Engineers VBI GmbH & Co. KG, D-70180 Stuttgart, www.boll-und-partner.de

Holzbau:                            
Poppensieker & Derix GmbH & Co. KG, D-49492 Westerkappeln, www.derix.de

Stahlbau:                           
ARGE „Neue Messe Stuttgart L4“ Profil Stahl- und Metallbau GmbH Heinrich Rohlfing GmbH, D-06917 Jessen /