Der Neubau der Autobahnraststätte Hellweg Süd im südwestfälischen Sauerland zeigt den modernen Ingenieurholzbau am Puls der Zeit. Die freigeformte Holzkonstruktion geht dabei eine Verbindung mit der historischen Landschaft ein.
Die Errichtung der Bundesautobahntankstelle (BAT) an der A44 im Kreis Soest wurde in einen verkehrs- und siedlungshistorischen Kontext eingebunden. Der hier verlaufende, historische Hellweg kann bis in die Jungsteinzeit um 5.000 v.Chr. sicher nachgewiesen werden. Er diente dem überregionalen Austausch von Waren. Bei der Planung der Rastanlage galt es den Hellweg wie auch dessen umgebende Bördelandschaft in die Entwürfe zu integrieren. Das Siegerteam der Wettbewerbsausschreibung vom Architekturbüro ProjektPlan hat dieses Anforderungsprofil vollumfänglich aufgegriffen, in die Kubatur übertragen und mit einem Gründach abgeschlossen. Die barrierefrei konzipierte Rastanlage wartet mit einer maximalen Ausdehnung von 28,8 m x 38,8 m und 860 m² Nutzfläche auf. Im Zentrum bildet ein von der Innenarchitektin Sabine Trömel als Lehrpfad museal aufbereiteter Hellweg das inhaltliche Herzstück.
Der auf einer Stahlbeton-Bodenplatte platzierte Hybridbau basiert auf einer stählernen Pfosten-Riegel-Konstruktion mit großflächigen, dreifachverglasten Fassaden in den öffentlichen Bereichen. Die rückwärtige Einhausung wurde aus Ortbeton gegossen. Obenauf prangt ein sichtoffenes BSH-Tragwerk, das von einer BSH-Dachscheibe abgeschlossen wird. Das Primärtragwerk wird von 80 individuell vorgefertigten, geschwungenen BSH-Bogenträgern in den Maximalmaßen (L) 19,80 m x (B) 1,52 m x (H) 0,28 m der Festigkeitsklasse GL30c ausgebildet. Dieses lagert im vorderseitigen Publikumsbereich auf den Stahlpfosten der Pfosten-Riegel-Konstruktion, während es im rückwärtigen Bereich auf einer Art Ringbalken, einem sichtbaren Stahlbetonfertigteil liegt, der wiederum auf der Stahlbetonwand sitzt. Zwischen den Hauptträgern bringen jeweils eingehängte Querschotten in den Maximalmaßen (L) 1,50 m x (B) 0,14 m x (H) 0,40 m eine raumprägende, gitterförmige Struktur des Dachtragwerks hervor. Dabei ist jeder BSH-Träger, bedingt durch die geschwungene Dachform, ein einzelgefertigtes Unikat mit einer individuellen Geometrie.
Das äußere Sekundärtragwerk basiert auf 5 markanten, 5 - 7 m langen und mit einem Durchmesser von Ø 35 cm vorgefertigten BSH-Rundstützenpaaren der Festigkeitsklasse 24c, die an zwei Gebäudeseiten umlaufend jeweils V-förmig in einem Winkel von 30 Grad augenscheinlich die Horizontallasten der Dachscheibe abfangen und in die Fundamente ableiten. Vor die Pfosten-Riegel-Fassade gestellt, bilden sie gemeinsam mit der geschwungenen Dachlandschaft, die eine Höhenvarianz zwischen 4,48 m und 7,90 m aufweist, das Aushängeschild der neuen Raststätte. Die obenauf montierte, geschwungene Dachlandschaft setzt sich aus 791 BSH-Elementen mit dem Maximalmaß von (L) 1,5 m x (B) 0,72 m x (H) 0,06 m zusammen, die an den Stößen mit OSB-Streifen untereinander verbunden sind. Dadurch fungieren sie als statisch wirksame Dachscheibe, wobei die Lastweiterleitung der Horizontallasten über BSH-Ausblockungen oberhalb der Stahlkonstruktion erfolgt, die von dort über die Stahlbetonwände sowie über Rundstahlverbände zwischen den Stahlstützen in die Fundamente abgeleitet werden. Die BSH-Dachscheibe wird von einem Gründach mit einer Bepflanzung aus Flachballenstauden und Samenmischungen für Sedum- und Gräserkulturen abgeschlossen. Die Gesamtfläche des dreidimensional geschwungenen Gründaches mit seinen wechselnden, geometrischen Strukturen beträgt ca. 755 m². Die hybride Bauweise der neuen Bundesautobahntankstelle Hellweg Süd verbindet die verschiedenen Baustoffqualitäten von Holz, Stahl, Beton und Glas zu einem unikaten Ganzen und setzt dabei auf die Vielfalt der architektonischen, holzbaulichen wie auch konstruktiven Möglichkeiten.
Autor:
Marc Wilhelm Lennartz - Unabhängiger Fachjournalist, Referent & Buchautor
Kontakt: www.mwl-sapere-aude.com
Bauweise: Hybrider Ingenieurholzbau
Rahmendaten:
Bauherrschaft:
Shell Deutschland GmbH, D-22335 Hamburg (www.shell.com)
Projektmanagement:
Artelia GmbH, D-22081 Hamburg (www.arteliagroup.com)
Architektur + Baudurchführung:
Architekturbüro ProjektPlan GmbH, D-49124 Georgsmarienhütte (www.projektplan.com)
GU Hochbau:
Bauunternehmen Echterhoff GmbH & Co. KG, D-49492 Westerkappeln, (www.echterhoff.de)
Holzbau- & Dachmontage:
Brüggemann Holzbau GmbH & Co. KG, D-48485 Neuenkirchen (www.brueggemann-holzbau.de)
Holzbau Statik, Tragwerksplanung:
Planungsbüro Johannes Winter, D-49074 Osnabrück (jwinter@planungsbuero-winter.de)
Holzbau Vorfertigung BSH-Träger + BSH-Dachschale:
Derix-Gruppe Poppensieker & Derix GmbH & Co. KG, D-49492 Westerkappeln (www.derix.de)
Brandschutzkonzept:
Franke - Beratende Ingenieure für Brandschutz PartG mbB, D-44141 Dortmund (www.franke-brandschutz.de)
Bauseitige Statik, Wärmeschutznachweis:
Pax Ingenieurbüro, D-49186 Bad Iburg
TGA:
GIG GmbH innovative Gebäudetechnik, D-28217 Bremen (www.gig-gmbh.eu)
Flächen- und Kennwerte
Gesamtgrundstück: 6.320 m²
Nettogrundfläche (NGF): 864 m²
Bruttogrundfläche (BGF): 1.394 m²
Bruttorauminhalt (BRI): 9.494 m³
Jahres-Primärenergiebedarf: 384 kWh/(m²a)
Bauzeit: 02/2019 – 04/2020
Baukosten gesamt: 6,95 Mio. Euro