In Olching bei München steht ein außergewöhnliches Bauwerk: ein Tankstellengebäude mit weit auskragenden Überdachungen aus Holz. Die Anforderungen an den Brandschutz fielen unerwartet gering aus. So stand dem Wunsch des Bauherrn, den nachwachsenden Rohstoff zu verwenden, nichts im Wege.
Viel Licht, auffallende Großzügigkeit und maximaler Komfort – so lauten die Vorgaben der Firma Allguth, wenn es um die Architektur ihrer Tankstellen- und Getränkemarktkette geht. In diesem Fall sollte der Neubau außerdem überwiegend aus Holz verwirklicht werden. Zunächst war allerdings nur das Shopgebäude als Holzbau geplant worden, während das Dach in der Allguth-typischen Ausführung als Pneu-Dach gebaut werden sollte. In einer der ersten Baubesprechungen kam dann jedoch der Wunsch des Bauherrn auf, auch das Dach in Holz auszuführen.
Hier stellte sich sofort die Frage, ob eine Tankstellenüberdachung aus Holz brandschutztechnisch überhaupt zulässig ist. Wie alle Beteiligten jedoch erstaunt zur Kenntnis nahmen, stellte der zur Klärung hinzugezogene Gutachter keine erhöhten Anforderungen an den Brandschutz der Überdachungen. Damit galt für sie Feuerwiderstandsklasse F0 (das Bauteil erfüllt im Brandfall weniger als 30 Minuten seine Funktion). Außer dem Shopgebäude, das in F30 auszuführen war, hatten lediglich noch die Stahlstützen der Konstruktion die Feuerwiderstandsklasse F30 zu erfüllen und mussten entsprechend bekleidet werden.
Der Entwurf sah ein Shopgebäude mit umgebenden Überdachungen für die Tank- und Parkbereiche vor. Das Shopgebäude hat einen quadratischen Grundriss mit Kantenlängen von 21,50 m. Mit Attika kommt es auf eine Höhe von 7,30 m und erscheint optisch als wäre es durch die große Dachfläche hindurch gesteckt, die mit Aufkantung eine Höhe von 5,80 m erreicht.
Das Tragwerk des Daches gliedert sich in insgesamt sieben Felder unterschiedlicher Größe und – bei den Überdachungen – verschiedener Auskragungslängen. Das größte davon überspannt mit 21,50 m Länge und knapp 29 m Breite die Pkw-Tankfläche und kragt 5,75 m weit über die Auflagerachse der Stahlstützen aus. Diese fast schwebend anmutende Überdachung betont besonders die einladende Geste, mit der Allguth seine Kunden empfangen möchte. Transparente Dachelemente und eine gute Kunstlichtversorgung sowie weitläufige Rangierflächen unterstützen diesen Gestaltungsansatz. Das knapp 11,25 m breite und 33 m lange Dach über dem Lkw-Tankbereich an der Südseite des Shopgebäudes ist durch schmale Einschnitte optisch vom übrigen Dach getrennt. Seine Schmalseiten kragen ebenfalls je 5,75 m aus.
Das Dachtragwerk setzt sich aus neun Stahlstützen und -unterzügen sowie weiß lasierten Brettschicht(BS)-Holz-Trägern zusammen, die im Achsabstand von 1,25 m nebeneinander angeordnet sind.
Die Stahlstützen mit Stahlunterzügen bilden die erste Ebene der Tragkonstruktion. Jeweils drei Stützen stehen dabei unter den großen Dächern an der Ost- und Südseite des Gebäudes, drei weitere unterstützen den Dachüberstand an der nördlichen Gebäudeseite. Die 80 cm hohen und 14 cm breiten BS-Holz-Binder überspannen sie und bilden die einzelnen Dachfelder aus.
Die längsten Träger verbinden mit 21,50 m Gesamtlänge die östliche Fassadenebene des Shops mit den knapp 15,75 m entfernten Stahlträgern und kragen dann nochmals 5,75 m aus.
Dass selbst die 600 m² große Überdachung des Pkw-Tankbereichs nur von drei Stützen getragen wird, die noch dazu in Bezug auf die Zapfsäulen geschickt platziert sind, lässt das große Dach wie eine schwebende stützenfreie Konstruktion erscheinen.
Insgesamt konnte der Tankstellen-Neubau dank der vorgefertigten Träger, Wände und dazugehörigen Fassadenelemente in nur acht Wochen errichtet werden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen - auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
(Dipl.-Ing (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe)
Bauvorhaben:
Tankstellengebäude mit Shop und Überdachung des Tankbereichs für Allguth in Olching, Deutschland
Bauweise: Ingenieur-Holzbau
Baujahr: 2015
Bauherr:
Allguth GmbH; Gräfeling
Architektur:
hiendl_schineis architekten
Passau/Augsburg
www.hiendlschineis.com
Tragwerksplanung:
Karlheinz Kovacs, Ingeneiurbüro
für Tragwerksplanung, Passau
www.kovacs-tragwerksplanung.de
Holzbauer:
Gumpp & Maier GmbH, Binswangen
www.gumpp-maier.de
Die Webseite Ingenieurholzbau.de informiert über die Herstellung und das Bauen mit geklebten konstruktiven Vollholzprodukten wie Brettschichtholz (BS-Holz), Brettsperrholz (X-Lam oder BSP-Holz), Balkenschichtholz (Duobalken® oder Triobalken®) und Furnierschichtholz.