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In den Wohnungen ist der Holzbau nicht mehr zu sehen. Alle Bauteile sind mit Gipskartonplatten verkapselt. (©Trimmel Wall Architekten ZT)
Vorbild für innerstädtische Nachverdichtung

Zwei Etagen Holz für Wien:
Aufgestockt für mehr Wohnraum

Ein völlig zerstörtes Mietshaus erhält eine neue, größere Dachlandschaft. Die Konstruktion des neuen Dachs ist komplex, bietet aber die Möglichkeit, mehr Wohnraum in dem Gebäude in zentraler Lage von Wien zu schaffen. Wie in anderen Städten auch, ist Verdichtung hier nur in der Höhe möglich. Das Holz spielt zur Erweiterung des Massivbaus die leichte, tragende Rolle.

Im April 2014 tönt ein gewaltiger Knall durch die Wiener Mariahilferstraße. Eine Gasexplosion lässt die oberen zwei Stockwerke des Eckhauses einstürzen, das Dach ist komplett zerstört. Das Gebäude ist nach der Explosion unbewohnbar. Und nicht nur das: Selbst massive Wände aus Stein haben sich durch die Druckwelle um bis zu zehn Zentimeter verschoben.

Trümmer und Schutt wurden beseitigt und einsturzgefährdete Bauteile entfernt. Zum Teil waren das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss nur noch ein Torso, auch die Fassade war schwer beschädigt. Besser sah es zur Seitenstraße hin aus. Hier war die Fassade nahezu unversehrt, auch die Konstruktion dahinter war in besserem Zustand. Zeitweilig stand der Abbruch zur Debatte, doch die Architekten verfolgten nachhaltige Ziele. Im Hinblick auf den ressourcensparenden Umgang mit Baustoffen war eine Sanierung allemal positiver zu bewerten als ein Abriss. Doch ein einfacher Wiederaufbau reichte den Planer nicht. Sie setzten vielmehr auf eine strukturelle Verbesserung, eine hohe Wohnqualität und eine sehr gute Energiebilanz. Fast nebenbei wurden auch die Wohnflächen deutlich vergrößert. Dies gelang durch das maximale Ausnutzen aller Spielräume hinsichtlich der Bauhöhen. Das neue Dach hat so wesentlich größere Maße als das alte.

Nur in der Bauphase gut zu erkennen: Das Gebäude wird mit einer Konstruktion aus Holz aufgestockt. (Fotos: Graf Holztechnik)
Straßenfassade: Die neue Fassade wurde originalgetreu wieder hergerichtet. Die thermische Sanierung sieht man ihr nicht an. (©Trimmel Wall Architekten ZT)

Chance zur Neuorganisation

Die Planung begann unter diesen Fragen: Was kann erhalten werden, was muss nicht nur aus statischen, sondern auch aus strategischen Gründen weichen? Die Planer ließen sich einiges einfallen, um die Wohnqualität in den neuen Wohnungen möglichst hoch anzusetzen. Sie trugen Teile der Innenhofbebauung ab und öffneten den Bau zu dieser Seite. Der Innenhof wurde ebenerdig überbaut, um Platz für Allgemeinräume wie z.B. Haustechnik und Garage zu schaffen. Die Belichtungssituation im Innenhof wurde durch den teilweisen Abbruch der Seitentrakte und das Anheben des Hofniveaus um ein Geschoss stark verbessert. Die Planer griffen massiv in die Grundrissgestaltung ein und schnitten die Wohnungen nach den heutigen Bedürfnissen völlig neu zu. Insgesamt sind im Haus 28 Wohnungen und zwei Ladenlokale entstanden. 

Die einzelnen Wohnungen werden zu sozial verträglichen Mieten angeboten. Vorrang hatten dabei die  Mieter aus der Zeit vor der Gasexplosion. 

Neue Dachlandschaft mit Wohnraum in Holz

Oberhalb des dritten Obergeschosses entwickelten die Planer einen neuen, eigenen Baukörper in Holzbauweise. Dort spannt sich nun ein großzügiger, zweigeschossiger Dachraum auf. Doch der Wunsch nach viel Wohnraum und damit einer Erweiterung des Dachgeschosses im Vergleich zum Bestandsbau brachte Überlegungen auf, wie die neue Baumasse statisch zu stemmen sei. Dies konnte nur mit einer relativ leicht und gleichzeitig flexiblen Konstruktion gelingen. Die Lösung war eine Konstruktion in Holzbauweise in Kombination mit Stahlträgern. Im neu ausgebauten Dachgeschoss wurden sieben Maisonette-Wohnungen geschaffen. Sie verfügen über großzügige Wohnräume, die sich zu den innenhofseitigen Dachterrassen und -gärten öffnen. Die breiten Fensterbänder an der Straßenseite werden von futuristisch wirkendem Sonnenschutz geziert. Er hält den solaren Eintrag der hoch stehenden Sommersonne gering, sodass das Dachgeschoss an heißen Sommertagen nicht überhitzt.

Aus dem Totalschaden ist ein hochwertiger Wohnbau mit zusätzlichem Wohnraum zu sozial verträglichen Mieten unter dem aufgestockten Dach entstanden. (©Trimmel Wall Architekten ZT)

Materialmix machte Aufstockung möglich

Die Konstruktion im Dachgeschoss ist wartet mit einem geschickt gewählten Materialmix auf:  Im Bereich der unteren Ebene dominieren Stahlträger die statisch wirksame Konstruktion. Sie tragen eine Brettschichtholzdecke, die zum Teil beachtliche Spannweiten von bis zu acht Metern hat. Das zweite Dachgeschoss ist dann von einer Holzbaukonstruktion aus Brettschichtholz-Trägern und Konstruktionsvollholz-Elementen geprägt. So wurde hier eine Mischung aus Ingenieurholzbau und klassischer Zimmermannsarbeit verwirklicht. Gleichzeitig achtete man darauf, möglichst kurze Montagezeiten zu erreichen, um den Bauablauf zu beschleunigen. Dazu wurden einige Bauteile im Werk vorgefertigt, sodass der zügigen Ausführung nichts im Wege stand.

 

 

Besonderes Augenmerk galt auch dem Schallschutz. Da die Wohnungen verschachtelt als Maisonnette angelegt sind, mussten die Trenndecken erhöhten Anforderungen genügen. Die Brettschichtholzdecken wurden daher nicht nur nach den statisch notwendigen 20 Zentimetern Dicke dimensioniert, sondern in 22 cm Stärke ausgeführt. Eine zusätzliche schwere Schüttung und der Zementestrich bringt Masse in die Konstruktion und verbessert somit den Schallschutz.

Das positive Ergebnis der Sanierung fällt nicht nur den Bewohnern auf: Das Projekt hat schon einige Preis erhalten. Es ist Staatspreisträger für Architektur und Nachhaltigkeit und den 33. Wiener Stadterneuerungspreis. 2020 konnte es auch die Jury des ETHOUSE Awards von sich überzeugen. 

(Christina Vogt, Gladbeck) 

Holz und Stahl ergänzen sich perfekt nach ihren jeweiligen Vorteilen. (©Trimmel Wall Architekten ZT)

Die Hausecke stellte viele Ansprüche an die Holzbaukonstrukteure.(© Trimmel Wall Architekten ZT)

Projektdaten im Überblick:

Adresse: Mariahilfer Straße 182, 1150 Wien

Projektentwickler: 
Immobilienverwaltung und -vermittlung Helga Brun

Architekturbüro: 
Trimmel Wall Architekten ZTGmbH

Eigentümer: Privat

Fertigstellung: 2018

Auszeichnung: 
FIABCI Prix d'Excellence Austria - Kategorie Altbau