Urban high-rise housing project Murray Grove prefabricated solid timber. Foto: Will Pryce / Waugh Thistleton Architects
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Fotorealistische Darstellung des Murray Grove Towers. Das Erdgeschoss in Stahlbeton trennt den kommerziell genutzten Bereich von den darüber liegenden Wohngeschossen in Holzmassivbauweise. Das Gebäude erhielt eine hinterlüftete Fassade aus vorgehängten Eternitplatten und darunter eine Außenwanddämmung aus Polyurethanschaum (Foto: KLH UK Ltd.; Waugh Thistleton Architects)
Ein Hochhaus durch und durch aus Holz

Murray Grove Tower: Acht Stockwerke in Brettsperrholz-Massivbauweise

Der 2008 errichtete, neungeschossige Murray Grove Tower in London stand in Großbritannien als erster seiner Art für aktiven Umweltschutz. Die selbsttragende Struktur des Hochhauses verknüpft Holzbau-Knowhow mit Pragmatismus. Sogar Aufzugsschächte und Treppenhäuser sind aus Holz.

 

Aufzugsschächte und Treppenhaustürme ragen aus der Gebäudemitte empor. (Foto: KLH UK Ltd.; Waugh Thistleton Architects)

In Großbritannien ist die Reduktion von CO2-Emissionen ein hochaktuelles Thema, denn die Auswirkungen des weltweiten CO2-Ausstoß als treibender Faktoren für die Klimaveränderung wird England als Insel durch den steigenden Meeresspiegel direkt zu spüren bekommen. Die Sensibilität der englischen Bevölkerung ist in dieser Hinsicht daher besonders ausgeprägt und beschäftigt alle politischen Parteien gleichermaßen. Da Holz beim Wachstum CO2 in Form von unschädlichem Kohlenstoff einlagert und es der Atmosphäre entzieht, kommt dem Holzbau in Großbritannien seit Jahrzehnten eine besondere Bedeutung zu.

Im Wissen darum wollten die Architekten Waugh Thistleton mit ihrem mehrgeschossigen Holzhochhaus, dem "Murray Grove Tower" in Hackney/London, einerseits diesem Umweltgedanken Rechnung tragen, andererseits etwas Neues ausprobieren. Mit dem gebauten Prototyp einer neuen Gebäudegeneration zeigten sie 2008, wie man Umweltbewusstsein, Klimaschutz und Fortschritt miteinander verbinden kann.

Selbsttragende Wabenstruktur mit frei eingestelltem Aufzugsschacht

Der Murray Grove Tower steht auf einem Eckgrundstück und hat einen quadratischen Grundriss von 17,50 m x 17,50 m. Das 29,75 m hohe Wohngebäude bilden acht Stockwerke in Brettsperrholz-Massivbauweise, die auf einem Sockelgeschoss aus Stahlbeton aufsetzen. Selbst die zentral gelegenen Treppenhäuser und Aufzugsschächte sind in Holz ausgeführt.

Die Wand- und Decken-Elemente aus Brettsperrholz bilden eine selbsttragende, wabenartige Struktur, wobei die Aufzugsschächte frei in der Wabenstruktur stehen und keinerlei statische Funktion innerhalb des Gebäudes haben. Sie müssen lediglich die Lasten des Aufzugs und sich selbst tragen. Außer den Wänden bestehen auch die Podeste der Treppenhäuser aus Brettsperrholz. Nur für die Treppenläufe kam Stahl zum Einsatz, wobei Hohlformen die Stufen bilden, die nach der Montage mit Beton verfüllt wurden. Um den Aufzug schalltechnisch zu entkoppeln und die Vibrationen, die durch den Fahrbetrieb entstehen, zu dämpfen, wurden sie mit einer zweiten Wand umhüllt und die Trennfugen der „Doppelwand“ mit Mineralwolle ausgefüllt.

Hölzerne Treppenhäuser und Brandschutz? Das geht.

In Großbritannien ist der Einsatz von Holz in öffentlichen Zugangsbereichen wie Treppenhäusern möglich, weil den Gebäudebereichen baurechtlich lediglich eine bestimmte Feuerwiderstandsklasse zugeordnet werden muss, die nicht an die Brennbarkeit der Baustoffe gekoppelt ist.

Die Treppenhäuser des Murray Grove Tower mussten eine Feuerwiderstandsklasse von F120 erreichen, weil sie die einzigen Fluchtwege sind. Das Gleiche gilt für die Zugänge von den Wohnungen zu den Treppenhäusern. Alle anderen Bereiche hatten F60 und lastabtragende Elemente F90 zu erfüllen.

Nach britischem Baurecht sind die beiden Treppenhäuser als alleinige Fluchtwege für den Neungeschosser ausreichend. Ab einer Gebäudehöhe von 30 m hätte sich das allerdings geändert. Die Architekten blieben mit 29,75 m Höhe daher bewusst unter der 30 m-Marke.

Um den Brandschutzanforderungen zu genügen, erhielten die Innenseiten der Aufzugsschächte einen Brandschutzanstrich, während die Treppenhäuser innenseitig mit Gipskartonplatten beplankt wurden.

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Die 3D-Computer-Isometrie zeigt die sich selbst aussteifende Tragstruktur aus Decken- und Wandscheiben. (Zeichnung: Waugh Thistleton Architects)

Mit „Disproportionate collapse“ Bau­teilkollaps im Gebäude verhindern

Der statische Nachweis für den Murray Grove Tower nach britischer Norm musste den sogenannten „disproportionate collapse“ kalkulieren. Der besagt, dass bei einem Unglücksfall – zum Beispiel einer Gasexplosion in einem Geschoss – nicht mehr als 10 % der Geschossdecke einstürzen darf. Diese Begrenzung soll sicherstellen, dass ein Bauwerk infolge eines Bauteilkollapses nicht in sich zusammenstürzt. Diese Denkweise ist in Deutschland vor allem im Brückenbau geläufig. Im Wohnbau geht man nicht von kollabierenden Bauteilen aus.

Wirtschaftlicher Transport mit Stan­dard­abmessungen der Bauteile

Die Elemente wurden im öster­reichi­schen Werk von KLH hergestellt und per Lkw und Schiff nach Großbritannien gebracht. Aus Transportgründen waren die Elemente auf eine Höhe von 2,95 m begrenzt bzw. auf eine Breite von 2,40 m. Die Transportlänge durfte maximal 13,50 m betragen. Mit diesen Abmessungen konnten alle Elemente als Standardtransporte nach London gebracht werden.

Die Montage dauerte nur neun Wochen. Damit sparte der Bauherr gegenüber der konventionellen Bauweise in Stahlbeton 17 Wochen Bauzeit ein. (Text: Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe)

Grundriss auf 17,50 m x 17,50 m: Viele quer und längs angeordnete Wände steifen die Geschosse vertikal aus. (Zeichnung: KLH UK Ltd.; Waugh Thistleton Architects)
Blick ins Innere: Die Wand-Elemente sind so hoch wie das lichte Rohbaumaß. (Foto: KLH UK Ltd.; Waugh Thistleton Architects)
Versetzte Wandhöhen ermöglichen eine Verzahnung der Wandelemente, so dass eine stabile Röhre entsteht. (Foto: KLH UK Ltd.; Waugh Thistleton Architects)
Die Winkel für die Wand-Elemente wurden bereits vor der Montage auf den Decken-Elementen fixiert. (Foto: KLH UK Ltd.; Waugh Thistleton Architects)

Projektdaten im Überblick:

Bauherr: Telford Homes

Architekten: Waugh Thistleton Architects, London, www.waughthistleton.com

Statik, Detail- und Ausführungsplanung: Techniker Ltd., London, www.techniker.co.uk

Projektierung, ausführende Holzbaufirma: KLH UK Ltd, London, www.klhuk.com

Verbaute Holzmenge: 900 m³

Planungsbeginn: Mai 2007

Gesamtbauzeit: 10 Monate

Gesamtkosten: £3 Million (3,75 Mio. Euro)

Fertigstellung: September 2008

Fotos und Zeichnungen: KLH UK Ltd.; Waugh Thistleton Architects